Supermarkt, Sonnabend, 27. Dezember, 11.32 Uhr.
Ich muss mich entscheiden, an welche Kasse ich den gefüllten Korb schiebe. Heute will ich alles anders machen, denn bisher gehöre ich zu den Kunden, die immer in der langsamsten Schlange auf den Platz am Laufband warten. Im Vorübergehen habe ich die Kassen eins und zwei ausgewählt. Dort sitzen Kassiererinnen, von denen ich weiß, dass sie schnell arbeiten. Kasse drei kommt nicht in Betracht. Die Kassiererin mit dem hochrotem Kopf und Schweißtröpfchen über der Oberlippe habe ich hier noch nie gesehen: Eine Aushilfe zwischen den Festtagen?
11.34 Uhr.
Ich habe auffallend unauffällig die Körbe und ihre Schieber an beiden Kassen gemustert. Vor dem Laufband an Kasse eins stehen zwei hochgefüllte Einkaufskörbe. Das muss noch nichts heißen, sage ich mir. Durch Kleinkram getarnt sind die zwei Getränkekisten kaum in dem vorderen Korb zu erkennen. Doch ich weiß, die Kisten sind schnell abgerechnet. Der Kunde ist schneller an der Kasse vorbei als ich mit meiner Halbfüllung. So wäge ich Korbinhalte darauf ab, wie flink die Kassiererin sie bezwingen kann. Kleinkram kostet viel Kassierzeit.
Doch ebenso ist jeder Kunde ein Risiko für schnellen Korbvorschub. Männer um die 50 mit gutem Einkommen können zur Korbbremse werden, wenn sie die Weinflaschen auf das Förderband stellen statt sie zu legen. Aber schließlich soll jeder Schlangesteher ruhig sehen, dass er sich 18 Euro-Wein leisten kann. Dass umfallende Weinflaschen große Schweinereien und damit Dauerstockungen verursachen können, ist dem Besserverdiener egal. Er hat die Kasse dann fast hinter sich. Hinzu kommt, dass Besserverdiener umständlich mit Karten zahlen und die Waren ungeschickt einpacken. Sie tun es eben nicht so oft.
Ältere Damen zahlen meist bar. Doch vorsichtig bin ich immer, wenn die Dame eine stärkere Brille trägt. Diese Frauen neigen dazu, das Kleingeld aus ihrem Portemonnaie auf den Kassentisch zu schütten: „Schauen Sie doch mal, ob sie was herausfinden.“ Ältere Ehepaare dagegen packen nach dem Kassieren wie gehetzt die Waren wieder in den Korb. Sie beschleunigen die Schlangen.
11.36 Uhr.
Ich will den alles entscheidenden Augenblick nicht länger hinauszögern. Heute stelle ich mich an die Schlange vor Kasse zwei, von der ich annehme, sie sei die langsamere. Am Schlangenende ein gefüllter Korb ohne Herrchenfrauchen. Als die Schlange vorrückt, umfahre ich den verwaisten Korb. Sekunden später spricht mich eine rundliche, kleine Frau an: "Haben Sie geschoben meine Wagen?"
Eine Polin? Wahrscheinlich.
Ich schaue sie an, hole langsam Luft und höre mich antworten: "Nein, habe nicht geschoben ihre Wagen."
Sie sagt nichts, ich auch nicht. Was sollte ich auch sagen? Ich habe über die Schlangengeschwindigkeit nachzudenken und bleibe bei meinem Entschluss: Ich deute alle Vorzeichen und bleibe in der langsameren Schlange. So werde ich schneller sein. Ich visiere die Dame auf gleicher Höhe in der Nachbarschlange an.
11.47 Uhr.
Mit meiner neuen Taktik mache ich das Rennen in Schlange zwei. Locker ziehe ich an der Frau an der Nebenkasse vorbei. Als ich erleichtert aus der Halle verschwinden kann, muss meine Vergleichs-Dame noch zwei Kunden abwarten.
Ich werde einen Wettkampf daraus machen. Finde ich willige Wettkämpfer, veranstalten wir ein Rennen in Super-Zeitlupe.
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