Sonntag, 14. Dezember 2008

Die Aufzeichnungen des Uwe Holl, alias Martin W. (8)

Teil acht der Aufzeichnungen des Uwe Holl, der sich in seinem Text Martin W. nennt.

VI. Ich besteige einen Berg und stelle Fragen


Am Morgen bin ich allein in der Hütte. Der Alte war nicht zurückgekehrt, von Marsha war ein Zettel geblieben: Ich bin bald zurück. In mir das große Gefühlsdurcheinander: Ist dem Alten etwas passiert? Fand er seinen Morgenwind? Sucht er weiter? Und Marsha? Sie war bei mir geblieben aber es war nicht alles gewesen. Jetzt war auch sie verschwunden. Wohin? Sie war immer am Abend gekommen, diese Lichtspur und was sind Abende ohne Tage?

Dieses Tal, das wie meine Heimat geworden war, ist nun bedrückend eng. Ich gehe vor die Hütte, der Morgennebel hat sich aufgelöst. Es ist Tag, aber die Sonne ist noch nicht über die Berge gestiegen. Ich schaue hinauf und mir ist, als wollten die Berge auf mich stürzen. Ich muß hinauf auf die Berge, weg aus dem Tal. Ich glaube, wenn ich von dort das Tal überblicke, wird Ruhe in mir einkehren, und ich mache mich auf den Weg. Und ich steige hinauf, das Klettern wird mir immer schwerer und ich denke: Berge, das sind himmelwärtige Schweißabforderer.

Endlich strahlt mir die Sonne entgegen. Ich gehe über eine große Wiese, um das letzte Stück Weg zum Kamm zu steigen. Mein Herz schlägt wild, das Atmen fällt schwer und je größer die Anstrengung, desto weniger werden die Gedanken an den Alten und an Marsha.

Ich bin auf dem Kamm angelangt, setze mich ins Moos und belauere meine Gedanken. So wie ich mich erhole von der Anstrengung des Aufstiegs, kehren die sie in mich zurück.

Ich schaue hinab in das Tal, sehe tief unten die Hütte aber die Gedanken sind mir neu: Was hast du hier, in diesem Tal, an diesem Fluß verloren? Wolltest du nicht bis zur Mündung? Hattest du nicht vor, neue Menschen in Hülle und Fülle kennenzulernen? Du kennst die Frauen aus dem Laden. Glaubtest, den Alten und Marsha zu kennen und beide sind dir davongelaufen und brauchen dich nicht, wenn es ernst wird mit dem Leben. Gibt es überhaupt jemanden, der dich nötig hat zum Leben? Wen brauche ich? Sicher, die Umgebung, die Menschen hier sind nicht jene, die ich bisher kannte, aber bin ich anders geworden?

Und Marsha: Ich war der Meinung, sie würde ihre Gefühle vor mir verbergen, aber wenn, dann vielleicht nur, weil ich selbst zu den großen Liebesvergrabern gehöre. Es schwebt keine Fee hernieder, kein Zauberer erscheint, mir drei Wünsche zu erfüllen. Kein Eremit ist weit und breit zu sehen, mich mit weisen Ratschlägen zu füttern.

Hinabsteigen.


Nachbemerkungen:

Diese Aufzeichnungen schrieb Uwe Holl unter dem Pseudonyn Martin W.

Den Titel dieser Schrift wählte ich. Die Kapitelüberschriften stammen von Holl.

Uwe Holl hat jede Erklärung zu der Geschichte abgelehnt. Ich solle sie nehmen wie sie ist, meinte er.

Aber ich habe Paul B. gefunden. Von ihm erfuhr ich, dass er, Paul B., mit Marsha A. zusammenlebt. Sie haben im Landesinnern, bei Demmin, einen kleinen Landwirtschaftsbetrieb übernommen, Marsha A. erteilte mir keinerlei Auskünfte.

1 Kommentar:

Marsha hat gesagt…

Geheimnisvolles Leben du (frei nach Rilke)
- gewoben aus mir und 125 Millionen unbekannten Dingen,
geschieh mir nur! Mein Sinn steht allem offen und meine Stimme ist bereit zu loben.
Wenn du mir wehtun willst, so komm: zieh mich hinauf an meinen Haaren,
drück mich der Erde in den Schoß, reiße mein Herz entzwei, das tausendfach empfindet,
blende mein Auge bis es erblindet. Ich glaube, dass ich wachse, wenn ich leide.

Wachsen will ich, doch um jeden Preis?
Es fühlt sich so an, als hättest du mich verlassen und nicht umgekehrt.

 
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