Sonntag, 22. November 2009

Nicht geimpft und trotzdem krank

Sachen passieren: Thomas Schill wollte sich gegen die neue Grippe impfen lassen, berichtete ich vor drei Wochen. Doch daraus wurde nichts. Ich hatte ihn angerufen: "Na, Thomas, rennst du jetzt mit einem dicken Oberarm herum?"
"Hörauf", rief er ins Telefon, "Ich war der Achte, der sich impfen lassen wollte. Da aber keine zehn Leute zusammenkamen, wurden wir wieder nach Hause geschickt. Ihr könnt mich mal, dachte ich und blieb zu Hause."

Ein paar Tage später rief mich Schill an: "Wär ich doch bloß noch einmal hingegangen wegen der Impfung!" Husten, ein Krächzen. Ich rufe in den Hörer: "Na da hat sich doch wohl ein Mithörer eingeschaltet. Was hast du denn Falsches gesagt?"
"Mach du dich noch lustig über mich. Mich hat die Schweinegrippe erwischt."
"Und? Musst du nun sterben? Und woher willst du wissen, dass es die Schweingerippe ist? Und was hätte wohl die Impfung ausgerichtet?"
Schill hörte sich beleidigt an: "Was sollte es sonst sein? Was sollen die blöden Fragen?"
"Vielleicht sind die Fragen gar nicht so blöd. Kannst du eine davon beantworten?"
"Welche?"
"Ob du nun sterben musst!"
"Wohl kaum. Anderthalb Tage Fieber, Kratzen im Hals und eine dicke Nase habe ich noch immer. Nee keine Todesgefahr, Lothar."
"Gut, dass du durchkommst, Alter. Also die zweite Frage: Woher weißt du, dass du die Schweinegrippe hast? Bist du getestet worden?"
Jetzt war Thomas Schill empört, zumindest hörte es sich so an: "Ich renne doch wegen des bisschen Fiebers und einiger Unannehmlichkeiten nicht noch mal zum Doktor. Außerdem würde ich mit Krankenschein in der Zeit aus der Arbeitslosenstatistik fallen. Den Gefallen tue ich den Heinis nicht." Kurze Pause und dann: "Was sollte es denn sonst sein?"

Jetzt war ich obenauf: "Siehste. Es kann alles Mögliche sein, z.B. eine schnöde Erkältung. Sollen auch Viren sein, die das hinbekommen, aber eben andere. In einer Woche ist alles vorbei. Ich meine, dann bist du nicht tot, sondern gesund. Selbst wenn du getestet worden wärst und das Schweinevirus nachgewiesen worden wäre, können ebenso gut, ich meine ebenso schlecht, andere Erreger schuld sein an deiner Krankheit. Prüft bloß keiner. In all dieser bekloppten Hysterie, du weist schon, Usedom-Rundschau und andere Angstmacher, kommt kaum noch jemand darauf, dass du wegen etwas anderem krank wurdest."
Schill redete dazwischen: "Willst du mir einen Vortrag halten?"
"Ja, tut Not, merk ich doch."
"Oh komm, mir brummt der Schädel", sagte Schill.

"Nimm eine Tablette und hör mir zu. Der Knüller kommt nämlich noch. Wie viele Tage lagen zwischen dem Arztbesuch ohne Impfung und deiner Erkältung oder was das ist?"
"Drei oder vier Tage. Und nun?"
"Schihill! Rechne mal mit: Die erste Impfung wirkt ungefähr nach einer knappen Woche. Erst mit zwei Impfungen sollst du so richtig immun gegen die Schweinegrippe sein. Das heißt doch wohl, dass du trotz Impfung krank geworden wärest, wenn wir mal annehmen, es ist die Schweinegrippe."
"Stimmt Lothar."
"Also zu guter Letzt: Du kommst durch, mit und ohne Schweinegrippe und bist jetzt gegen sie immun, falls du doch daran krank wurdest."

Schill wollte nicht fröhlich werden, trotz seiner günstig stehenden Überlebenschancen. Also musste ich ihn noch ein wenig ermuntern: " Übrigens, wenn du doch geimpft worden wärest und dir danach etwas passiert wäre, was dann?"
"Was soll da schon passieren, ein dicker Arm, bisschen Jucken um den Einstich herum."
"Thomas, du solltest mal was anderes lesen als die Rundschau. Dann wüsstest du, dass in Rheinland-Pfalz ein Mensch nach der Impfung lebensbedrohlich erkrankte und einer danach starb. Und das sind noch nicht alle."
"Dann war es wohl doch ganz gut, dass ich ich dachte, die können mich mal."
"Keine Ahnung Thomas, schlau sind wir meist erst hinterher. Achso, wer hat dich denn angesteckt?"
"Du hast eine blöde Art von Humor, Lothar. Woher soll ich das wissen?"
"Kleiner Tipp: Kauf dir Desinfektonsspray oder -tücher. Damit wische ich mir nach jedem Einkauf die Hände ab. Wer weiß, was an der Lenkstange vom Einkaufswagen alles klebt und wer mit welchen Keimen Tüten und Flaschen aus den Regalen nahm und dann doch nicht kaufte. Und das Wechselgeld nicht zu vergessen. So ein Tuch danach kann Wunder wirken. Aber du kannst dich natürlich auch impfen lassen, so im Nachhinein. Ist schon gut Schill, war nur ein Witz."

Freitag, 23. Oktober 2009

Arroganz und Ahnungslosigkeit

Erinnern Sie sich bitte an den Ausbruch der Vogelgrippe, an die jammernden Touristiker auf Rügen, an die dem Tamiflu hinterher Hechelnden, vor allem aber an die hilfreich der Pharmaindustrie zur Seite stehenden, weil die Angst schürenden, Medien.
Das alles macht unruhig und vermindert somit die Denkleistung. Was für ein Mist wurde nicht alles in die Welt gesetzt, auch von der Usedom-Rundschau! Wenigstens hatte ich mich an der Blödsinn-Schreiberei nicht beteiligt.

Wenn ich sehe, wie jetzt wieder wegen der neuen Grippe die Welt in Angst versetzt wurde und wird, fällt mir ein, was wohl gewesen wäre, wenn rechtzeitig ein Impfstoff gegen die Vogelgrippe entwickelt worden wäre. Wie jetzt wären Abermillionen Menschen geimpft worden. Und siehe, die Vogelgrippe hätte nur wenige Menschen weltweit zu Tode gebracht. Ich fürchte, das wäre der Impfindustrie und den Bonzen ein willkommener Anlass gewesen zu behaupten: Der Impfstoff hat seine Schuldigkeit getan.

Was um alles in der Welt schützt uns vor solchen Behauptungen, wenn die neue Grippe ähnlich mit uns verfährt wie es die Vogelgrippe tat? Doch nicht etwa die Medien?!

Das nur zum Nutzen von Medien, das zu jenen, die meinen, aus der Zeitung ... zu erfahren, was in der Welt los sei.

Ach, Thomas Schill will sich gegen die neue Grippe impfen lassen. Er wollte mir nicht verraten, was ihn dazu vor allem bewog, die Angstschürerei per Text oder die idiotischen Spritzen- oder Nadel-im-Oberarm-Bilder, die überall verwendet werden, als wüssten weder Schill noch ich, noch Sie, wie eine Spritze aussieht und wie geimpft wird.
 
Immer wieder Beispiele, die belegen, für wie blöd uns Medienvertreter aller Art halten. Eine gefährliche Mischung: Arroganz und Ahnungslosigkeit, deren Ergebnisse einige von Ihnen täglich kaufen.

Sonntag, 11. Oktober 2009

Gut und Böse über Kreuz

Ein Lieblingsspruch der LINKEN stammt von John Steinbeck. Er geht so: »Menschliche Eigenschaften wie Güte, Großzügigkeit, Offenheit, Ehrlichkeit, Verständnis und Gefühl sind in unserer Gesellschaft Symptome des Versagens. Dagegen sind Gerissenheit, Habgier, Gewinnsucht, Gemeinheit und Egoismus Merkmale des Erfolges.« Er hat recht.
Ich hatte es hier gefunden.

Wäre das eine Idee für eine Geschichte?:

Ein Gerissener, Gemeiner, Egoistischer macht Gewinn, weil er einen Ehrlichen, Verständnisvollen für seine Geschäfte missbraucht. Es gelingt dem Gerissenen, weil er eine Kinderfreundschaft wieder aufleben lässt.
Der Gerissene lässt den Ehrlichen andere Ehrliche ausnehmen, bis er merkt, dass der Gerissene ihn ausnutzt. Er kann sich aber nicht wehren, bis er darauf kommt, einen anderen Gerissenen anzustellen, der den ersten Gerissenen übers Ohr haut.
Doch dieses Wehren ist nicht so einfach, denn der Ehrliche ist ja auch gütig und verständnisvoll; Skrupel hemmen ihn anfangs noch.

Samstag, 3. Oktober 2009

Nachdenken über den 9. Oktober

Warum wurde ausgerechnet der 3. Oktober zum sog. Tag der deutschen Einheit, warum nicht der 9. Oktober?

Welcher 9. Oktober? Sehen Sie, Sie hatten schon vergessen, dass an dem Montag im Jahr 1989 in Leipzig 70000 Menschen den Altstadtring umrundeten, beäugt von 15000 Bewaffneten. Es war die bis dahin größte, nichtangemeldete Demonstration in der DDR, während der nicht einmal eine Fensterscheibe zu Bruch ging (War es der Gedanke an das Volkseigentum?), geschweige denn, Menschen zu Schaden kamen. Diese Demonstration löste eine Flut weiterer in der gesamten DDR aus, mit denen erzwungen werden sollte, das DDR-System zu reformiern, und es wurde doch Auslöser des Umsturzes.

An solch einen Tag sollte mit einem Feiertag erinnert werden? Niemals!
Die Gründe liegen auf der Hand.

Es war kein Regierender aus Ost und schon gar nicht aus West dabei.
Es bedurfte keines Regierenden, 70000 Menschen in Bewegung zu setzen; sie schafften das von sich aus.
Es bedurfte keines Regierenden, Zerstörung, Mord und Totschlag zu verhindern. Die Leute schafften das ganz allein.
Die Massen organisierten sich friedvoll fast von selbst, ein einmaliger Vorgang - leider.

Vor lauter Unzufriedenheit und Demonstriererei kamen die meisten monatelang gar nicht auf den Gedanken zu überlegen, was denn noch alles ohne Regierende möglich wäre. Außerdem war plötzlich die Grenze offen und alles Volk strömte - 100 Westmark abzuholen. Die große Chance zur Selbstbestimmung war vertan.

Der zweite Grund, den Tag zu keinem Feiertag zu erheben, ist ebenso einfach zu erkennen. Die untergehende DDR wurde nicht mit dem Westen vereint; sie wurde vom Westen kolonisiert. Waren es vor Hunderten Jahren die Mönche, die den Glauben unters Volk brachten, so die Gesellschaften zerstörten und die Kolonisierung leicht machten, waren es vor 19 Jahren die Versicherungsvertreter und die der Bausparkassen, die den DDR-Bürgern den Geldregen vom Himmel versprachen. Schon der erste geschenkte Hunderter hatte gläubig, gefügig und vor allem unterwürfig gemacht. Die von Händlern unters mauloffene Volk geworfene Bananen, Zeitschriften und Kugelschreiber wirkten wie die bunten Perlen der den Mönchen vor Hunderten Jahren nachrückenden Händler.

Den Blick auf die bunten Perlen gelenkt, merkten viele Leute nicht, wie ihnen die DDR unterm Hintern weggezogen wurde (Regierende verwandelten per Dekret Volkseigentum in Staatseigentum, um es verhökern zu können, und wir ließen uns das gefallen.) und sie mit Brosamen abgespeist wurden, viele von ihnen bis heute, die den Lügen, Verheißungen genannt, der neuen Regierenden im Osten und der alten Regierenden im Westen, glaubten und immer noch glauben. Nur sind es nicht mehr so viele. Die neuen Regierenden im Osten verschenkten die DDR, schnellstmöglich. Sie wollten sie unbedingt loswerden, denn sie hatten keine Herrschaft mehr über das Volk und die Kolinisten drängelten.

Die Herrschaft des Geldes bendete diesen Zustand des Nichtregiertwerdens, den kein Regierender oder Regierungswilliger der Welt lange duldet, auch nicht, wenn es nicht sein Volk ist, das er beherrscht, sondern Nachbarn. (Herrschende denken: mein Volk, sagen aber: die Menschen und wagten vor ein paar Jahren noch zu sagen: die Menschen draußen, tun es nicht mehr, denken es nur noch, ganz schön schlau.) Gewöhnlich lässt er Soldaten oder Geld einmarschieren, um im unbeherrschten Nachbarland die Ordnung der Herrschenden wieder herzustellen.

Dass die DDR kolonisiert wurde, steht außer Frage. Nehmen Sie die Nationalhymne. Daran erinnerte mich heute ein Gespräch mit Christian Führer, das ich im Radion gehört hatte. Dass die von den Nazis malträtierte Nationalhymne nun die aller Deutschen ist, illustriert das Bild von der Kolonisierung und zeugt zugleich von der Unfähigkeit und dem mangelnden Willen, etwas Neues zu schaffen. Wer kolonisiert, braucht nichts Neues zu schaffen. Er ist damit beschäftigt, neuen Profit schaffen zu lassen.

Wäre der Osten nicht kolonisiert worden, sondern mit dem Westen geeint, wäre eine neue Nationalhymne vonnöten gewesen. Es wäre auch der Text der DDR-Nationalhymne annehmbar gewesen, denn er kommt ohne Maas und Memel aus. Es ist mit Ausnahme weniger Zeilen ein guter Text, viel besser als der Überalles-Text. Besonders gefällt mir:
Laßt das Licht des Friedens scheinen,
Daß nie eine Mutter mehr
Ihren Sohn beweint.
Das geht natürlich in Einigdeutschland nicht. Wo kämen wir da hin? Muttertränen hin oder her; schließlich muss Einigdeutschland auch am Hindkusch verteidigt werden und wer weiß, wo demnächst noch.

Wir haben vor 20 Jahren eine einzigartige Chance verpasst und ich befürchte, welches Volk auch immer wird weiterhin ähnliche Möglichkeiten ungenutzt lassen, weil es stets zu viele Leute gibt, die sich allzu gern regieren lassen.

Sonntag, 13. September 2009

Vorweihnachtszeit beginnt - im Handel

Gestern schreckte mich Thomas Schill dauerklingelnd aus dem Mittagsschlaf. Er hastete schnaufend seinen Großbauch die Treppen hinauf.
"Lothar, beinahe hättest du es verpasst. Die Vorweihnachtszeit ist ausgebrochen", und schon schnaufte Schill weiter.
"Thomas, heute ist der 12. September, nicht Dezember. Also beruhige dich, wir verpassen nichts."
"Mann, weiß ich doch. Trotzdem ist jetzt Vorweihnachten."
Ich zog zwei Mal kurz an meiner Nasenspitze und sagte: "Meinst du Vorweihnachten oder vor Weihnachten. Vor Weihnachten ist ja wohl immer, wenn das Weihnachtsfest vorüber ist. Unter Vorweihnacht stelle ich mir immer noch die Adventszeit vor. Die beginnt in diesem Jahr ..." Ich flitzte zum Kalender und ergänzte: "... am 29. November."
Schill schaute mich triumphierend an und rief aus: "Jaha, so denkst du! Du hinkst der Zeit um Jahre hinterher. Warum kannst du oller Traditionalist dich nicht ein wenig der modernen Geschwindigkeit anpassen."

Jetzt schnaufte zur Abwechslung ich und erwiderte: "Kann eine Geschwindigkeit modern sein?"
"Sei nicht immer so spitzfindig. Ich meine nur, du musst schneller werden."
"Das glaube ich nicht. Ich verstehe das so, dass ich einfach mehr Ausdauer, den sogenannten längeren Atem, haben muss, jetzt schon Anlauf nehmen soll, um Weihnachten pünktlich zu erreichen. Was ist das alles für ein Quatsch?"
Schill schürzte die Unterlippe, zog aus der Hosentasche einen bunten Prospekt, entknitterte ihn, legte ihn auf den Tisch, klatsche mit der Hand darauf und sagte: "Hier ist der Beweis, dass Vorweihnachten beginnt, undzwar genau am Montag."

Hier die erste Seite von vieren, gefüllt mit Abbildungen von Glühwein (das Etikett zeigt einen verschneiten Kirchplatz mit Sternenhimmel), Lebkuchenherzen und -sternen, auf den Innenseiten Stollenkonfekt, Spekulatius, Dominosteine und Baumkuchen, auf der Rückseite Marzipanbrote und - der Höhepunkt - Gelee-Baumbehang.



Gerade hatte ich gehört, dass Heinrich Böll einmal geäußert hatte, in Westdeutschland sei nichts schlimmer, als wenn jemand dazu beitrage, den Umsatz zu verringern. Das sagte ich Schill und fügte hinzu, dass sich daran seit der Zeit gleich nach Weltkrieg Nummer zwei nichts geändert habe und: "Du kannst dich ja eindecken mit Lebkuchen und Baumbehang, dir Glühwein erhitzen, dich mit dem Glas Glühwein wie ein Hamster vor den Berg Süßkram setzen und zweieinhalb Monate auf die Adventszeit warten."
"Glaubst du etwa, ich kann so lange warten?"
Ich schaute demonstrativ auf seinen Großbauch, dann Schill ins Gesicht. "Genau das ist doch der Trick. So wie du können viele andere auch nicht warten, bis zum 29. November, allein schon, weil zumeist Anfang November die ersten Fröste über uns kommen. Und spätestens dann schlürfen sie Glühwein und naschen dazu vom Marzipanbrot. Und? Na? Sie kaufen nach, damit sie die Adventszeit würdig begehen können. Die Läden jetzt mit Baumkuchen und Glühwein zu bestücken, steigert den Umsatz. Darum, um nichts anderes, geht es in dieser Gesellschaft. Böll hat Recht behalten."

Schill fragte mich: "Und du? Kriege ich den ersten Glühwein erst am 29. November?"
"Nein, natürlich nicht. Ich werde den Umsatz auch steigern und kaufe den ersten Glühwein, wenn der erste Frost droht."
"Vorher nicht?"
"Vorher nicht."
"Naja, bist ja doch nicht solch ein Traditionalist. Bist ja doch ein Anpasser."

Donnerstag, 13. August 2009

Drei Kaiser

Das Zitat über die Regierenden, die uns an der Nase herumführen wollen und sich dazu ergebener Medien bedienen, stammt aus Erwin Strittmatter "Der Wundertäter, 3. Band", steht fast am Ende des 14. Kapitels. Der dritte Band erschien im Jahr 1980 in der DDR und ich fand in ihm, im 31. Kapitel, noch ein passrechtes Zitat, dieses Mal über eine Person, die er so schildert:

... es war MEHRLESENS überheblicher Ton, mit dem er über die Wirklichkeit sprach, die er nicht kannte; es war die dumm-dreiste Art, mit der er sich "Die Leser" konstruierte, mit der sich anmaßte, zu erklären, was Leser sich wünschten, die besser als er wussten, was war und was nicht war; was es schon gab und was es noch nicht gab. ...

Aber darüber wollte ich nichts weiter schreiben. Ich erinnerte mich nur an die sog. Kaisertage, zu denen alle Jahre wieder besonders viele Urlauber nach Heringsdorf gelockt werden, um hier möglichst viel Geld auszugeben. Ich habe keinen anderen Grund für die Anhäufung von Veranstaltungen und Verkaufsständen für angehäufte Urlauber finden können, auch nicht vor zwei Wochen.
Dass das Ganze für Urlauber veranstaltet wird, ist schon daran zu merken, dass sich am Ablauf so gut wie nichts ändert, sogar das Feuerwerk kam mir sehr bekannt vor, und die meisten Verkaufsstände standen an fast den selben Stellen wie im Vorjahr. Die Bratwürste waren wohl nicht die vom Vorjahr.

Warum tagelang eines Kaisers gedacht werden muss, kann ich bis heute nicht verstehen, der war ja schließlich nicht nur in Berlin und in Heringsdorf. Stellen Sie sich vor, überall, wo der Kaiser, welcher auch immer, irgendwann einmal gewesen ist, würden Kaisertage begangen!

Außerdem kommt Deutschland nun schon seit über 90 Jahren ohne Kaiser aus; das heißt, die Heringsdorfer offensichtlich nicht. Würden einige Heringsdorfer sonst die Gemeinde am liebsten Kaiserbäder nennen - beinahe hätte die Gemeinde, als sie sich aus dreien bildete, so geheißen, Dreikaiserbäder - und würden sie sonst auch alljährlich die Kaisertage feiern?

Es kann die Kaisertage-Feierei auch nicht mit Dankbarkeit zum Kaiser begründet werden. Ohne seine zeitweilige Anwesenheit wären die Dörfer dennoch zu recht ungeordneten Ansammlungen von Hotels, Pensionen, Fremdenzimmern und ein paar Villen herangewachsen. Die Dörfer waren ja schon dabei, sich zu entwickeln, ehe der Kaiser Notiz davon nahm.

Also warum dann Kaisertage? Was hat der Kaiser der Gemeinde Gutes getan, dass seiner Majestät jährlich mit tagelangen Festen gedacht werden muss?
Letztlich geht es doch nur darum Urlauber anzulocken. Sie kämen auch dann, würde die Urlauberverlockung anders heißen. Sie kommen, weil sie auch sonst zu allen möglichen sog. Volksfesten gehen, nur dass sie nun einmal Ende Juli im Ort oder in dessen Nähe sind.

Einzig interessant könnte die sog. Dankeschön-Veranstaltung Anfang Oktober werden. Dann ist die Saison vorbei und es versammeln sich die Organisatoren, um zu feiern, dass wieder einmal alles so abgelaufen ist, wie sonst. Das Interessante an der Veranstaltung sind die Beobachtungen, wer wie mit wem dort debattiert und wer mit wem von dort verschwindet.

Sonntag, 26. Juli 2009

Rätsel über Regierende

Als Thomas Schill heute mit mir sprach, nannte er mich gegen seine Gewohnheit Gülle-Lothar. ("Sturmfeld"-Leser wissen, wie ich zu dem Spitznamen kam.) Mir riss schließlich der Geduldsfaden und ich fragte ihn: "Warum sprichst du mich heute ständig mit meinem Spitznamen an?"
"Also gut, meinetwegen nur Lothar. Ich kam auf die Gülle, weil ich etwas über Regierende las."
"Liest du doch jeden Tag, deren blöde Parolen."
Haben Sies gemerkt? Wir sind per du; ist vor einer Woche passiert. Wir haben mächtig einen getrunken und ich nutze den Sonntag, um mich davon zu erholen.
"Die sind gar nicht so blöd. Aber sie versuchen, uns zu verblöden."
Ich wurde ungeduldig. "Was ist das denn nun mit den Regierenden?"
Schill kratzte sich hinter dem rechten Ohr, schaute mich seitlich und von unten an, als wäre er ein Händler, der mich gerade übers Ohr hauen will und sagte: "Ich lese es dir vor, und du darfst raten oder wissen, wer es aufschrieb."
"Und wenn ich es nicht herausfinde?"
"Geht die Welt nicht unter. Dann habe ich bloß bewiesen, dass ich Sachen weiß, die du nicht weißt."
"Und was heißt das?"
"Nichts weiter, als dass wir uns ergänzen."
"Dann wäre es besser für unseren Zusammenhalt, ich wüsste es nicht?"
"Das kannst du halten wie du willst."

Schill zog einen Zettel aus der Brusttasche seines Hemdes, entfaltete ihn und las: "Ich kenne keine Regierung, die nicht darauf bedacht wäre, den Regierten zu erklären, wie gut sie es hätten und wie schwierig das Geschäft des Regierens wäre. Niemand hat die Regierenden in den Beruf hineingedrängt, aber alle möchten nachher für Leute gelten, die sich aufopferten, möchten, dass ihr Beruf als der wichtigste der Welt gelte."

"Thomas, ich habe keine Ahnung."
"Lother, das macht nichts. Kleine Hilfestellung, das Zitat ist 29 Jahre alt."
"Gilt aber immer noch."
"Wird auch immer gelten, jedenfalls so lange es Regierende gibt. Also, weißt du wer es schrieb?"

Ich hatte keine Lust zu raten; ich fand und finde das Raten albern. Schill gab mir eine Woche Bedenkzeit. Doch die Woche will ich mit Anderem ausfüllen, habe ich mir jedenfalls vorgenommen.
Deshalb eine kleiner Aufruf: Wer ohne lange nachzulesen weiß, wers schrieb, kann es mir im Kommentar mitteilen, auch wenn Schill dann leise zweifeln könnte, dass wir uns immer und überall ergänzen und deshalb unzertrennlich sein müssten.

Sonntag, 12. Juli 2009

Steilküsten-Abfahrtslauf

Schill hat als Vorruheständler nicht nur Zeit, auf der Promenade Urlaubern zuzuhören. Er hat auch Zeit, sich auszudenken, wie er zu Geld kommen könnte.

Vor ein paar Tagen klingelte er Sturm.
"Merten, ich hab eine Idee, wie ich mich selbständig machen könnte und ich bekomme keinen roten Heller Kredit dafür von der Spaßkasse."
"Nagut, ich höre es mir an."
Schill war schnell die Treppen hinaufgestiegen. Er atmete fauchend vor Anstrengung und weil er so aufgeregt war wegen seines abgelehnten Einfalls.
"Wie wärs mit ner Cola?"
"Cola trink ich nur mit Wodka", antwortete er.
"Wodka? Aber nicht nachmittags um drei."
Ich brachte ihm ein Glas Leitungswasser. Doch er war auch damit nicht zufrieden:
"Kohlensäure gibt es nachmittags um drei auch nicht? Ab wann darf denn Wasser bei Ihnen sprudeln?"
"Ich habe sonst nichts im Haus. Also, was ist Ihnen eingefallen?"

"Merten, das ist eine Bombenidee. Haben Sie Lust zum Skilaufen?"
"Was? Jetzt im Juli?"
"Klar. Warum nicht? Hauptsache es ist Vollmond. Heute ist Vollmond."
"So richtig mit Skiern?"
"Ja, die Steilküste runter. Wenn die in Oman die Dünen runterrutschen, können wir das hier erst recht. Aufregender ist es sowieso, weil es schärfer bergab geht."

Mir schien, ich müsste verbindlicher werden.
"Thomas Schill, das kann nicht funktionieren."
"Kann es doch. Was spricht dagegen?"
"Alle Steilküsten sind geschützt. Die Hänge dürfen nicht betreten werden. Mit Skiern wären die Hänge ruckzuck ramponiert. Und wer sollten denn wohl die Kunden werden, die dort runterbretterten. Warum sollten es überhaupt Kunden werden, wenn sie schon so verrückt wären, im Sommer mit ihren eignenen Skiern die Steilküsten runterfahren könnten?"

Schill reckte seinen gewaltigen Brustkorb und sagte beim Ausatmen: "Hab ich alles bedacht." Und dann: "Zuerst müsste ich ein Stück Küste kaufen und präparieren, sozusagen eine Piste anlegen. Genau dafür brauchte ich das meiste Geld."
"Wer soll Ihnen denn ein Stück Steilküste verkaufen? Ist das nicht alles Landeseigentum?"
"Das ist es ja gerade. Ich weiß es nicht. Bin noch nicht dazu gekommen, das herauszufinden."
"Gesetzt den Fall, das Land verkaufte Ihnen etwas Steilküste. Warum sollten die Landeslandverwalter es nicht tun, wenn die Regierung unbedingt die Gegend mit einem Kohlekraftwerk vergiften will wegen ein paar Arbeitsplätzen? Was wäre dagegen schon ein Stück Steilküste. Am besten die, unter der die Bernsteinlagerstätte liegt. Da würden die Skiläufer gleich den Abbaus betreiben und Sie hätten ein Zusatzeinkommen. Wenn die Ölbohrer den ltzten Tropfen aus dem Untergrund zutschen wollen, können Sie Skiläufer nebenbei Bernstein abbauen lassen, ohne dass die es merken. Zum Feierabend gehen Sie dann sieben und sammeln."
Schill triumphierte: "Siehste?"
"Und wer soll da herunterfahren?"
Schill blies die Wangen auf, als wollte er Trompete spielen und pustete mir seinen Atem entgegen. "Ist doch sonnenklar, wer meine Kunden werden, diese nordischen Geher mit ihren Skistöcken, die immer so aussehen, als würden sie verzweifelt und in höchster Eile ihre Skier suchen. Und die habe ich, natürlich nicht ihre, aber welche zum Verleihen. Mein Argument: Skilaufen ohne Skier, du meine Güte! Sie bringen die Stöcke mit, ich habe die Skier und ab gehts in die Tiefe."

Ich kratzte abwechselnd meine Ohren. "Gesetzt den Fall, das alles könnte klappen - wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass die nordischen Skiläufer ohne Skier ausgerechnet Ihre Bretter anschnallen würden, um 30 oder 40 Meter tief die Steilküste hinabzurutschen - also gesetzt den Fall, sie oder wer auch immer täten es doch, warum bei Vollmond?"

Schill rollte mit den Augen, Verzweiflung vortäuschend. "Das ist natürlich nur ein Verkaufstrick. Nachts, Vollmond, Fackeln zu beiden Seiten der Piste, Lagerfeuer am Strand. Dafür kann ich einen Extrapreis verlangen."
Dann sackte er plötzlich etwas in sich zusammen und sagte: "Tja, wenn ich eine Wellnes-Oase eröffnen würde oder wie die Zimmer heißen, in denen Leute sich mit ich weiß nicht was einschmieren lassen, bekäme ich bestimmt einen Kredit. Aber ich kann nicht andere Leute einschmieren, hört sich auch so nach anschmieren an, und ich will auch nicht anbieten, was so viele andere Leuten schon anbieten."
Ich empfahl ihm: "Dann bleiben Sie doch einfach Ruheständler. Helfen Sie Ihrer Frau beim Abwasch und beobachten Sie Urlauber auf der Promenade und die Leute mit den Skistöcken, die ihre Skier suchen. Was Sie da erleben, erzählen Sie mir. Wenn Sie das tun, verspreche ich Ihnen, Sie nach den Kaisertagen zur Dankeschön-Veranstaltung für die Organisatoren mitzunehmen. Essen und Trinken frei und dazu noch Hein mit sien Schifferklavier."
"Ach, Sie sind Organisator?"
"Nein, ich mache nur jede Menge Fotos und etwas Text dazu für die Kurverwaltung. Was die damit machen, weiß ich nicht, interessiert mich auch nicht. Ist wohl fürs Internet und Kataloge. Ein bisschen muss auch ich für die Gemeinde machen, wenn ich schon hier wohne."
"Ich könnte mich beherrschen."
"Ist in Ordnung, Schill. Jeder nach seiner Fasson. Sehen wir uns in einer Woche?"
"Abgemacht."
"Aber ohne Skier."
"Das muss ich mir noch überlegen."

Ich brauchte nicht zu überlegen. Skilaufen im Sommer, die Steilküste hinab, ob im Sonnenschein oder im Mondlicht. Niemals würde ich mich auf Skier stellen.

Mittwoch, 1. Juli 2009

Kolonnisten

Es können nicht alle Autofahrer Autobesitzer gewesen sein, die heute vormittag auf der Bundesstraße durch Heringsdorf fuhren. Auf der Straße zockelten so viele Autos auf beiden Fahrbahnen, dass ich davon ausgehe, etliche Leute hatten sich Autos geborgt, um mitzumachen, die Straße zu füllen, und nicht nur das, sie fuhren, um die Autos auch zu nutzen, mehrfach zwischen Bansin und Ahlbeck hin und her, wohl auch gleich nach Swinemünde zum Tanken.
So voll war die Straße!

In den nächsten Jahren werden weitere Übernachtungsmöglichkeiten gebaut, so das 30 Meter hohe Hotel, das schon heute den Tarnnamen "Teil des Ortszentrums Heringsdorf" trägt, aber den Namen "Koloss von Heringsdorf" verdient hat.
Ich hoffe, dann werden die Leute mit den geborgten Autos, diese Kolonnisten, aussortiert, damit die Autos auf der Ortsdurchfahrt nicht übereinander gestapelt werden müssen.

Sonntag, 14. Juni 2009

Schills Geschichte lesenswert?

Gestern war Thomas Schill wieder da, sich eine Antwort abzuholen. Er musste sich zwar nicht bücken, um in die Wohnung zu gelangen, doch füllte er fast die Türöffnung aus.
Ich habe ihm dringend abgeraten, so etwas wie ein Internet-Bürgerzeitung zu beginnen. Sie wird kaum gelesen werden und macht vor allem unglaublich viel Arbeit - und das für nichts und wieder nichts.

"Was dann?", wollte er wissen.
"Weiß ich auch nicht. Mehr Leser hätte eine Klatschseite, doch dann hätten wir auch mehr mit Anwälten und vor Gericht zu tun. Warum wollen Sie überhaupt etwas schreiben?"
Er schaute mich herablassend an und antwortete: "Warum wohl? Weil ich eine Menge weiß."
"Zum Beispiel?"
"Wie Urlauber rumlaufen."
"Wen interessiert das?"
Schill lachte leise. "Mich. Setzen Sie sich mal eine halbe Stunde auf eine der Promenadenbänke und schauen Sie dem Treiben zu."
"Und das ist ein Grund? Schreiben Sie es doch für sich auf und behelligen Sie nicht die Menge, wobei sich fragt, wie klein die Menge sein wird."

Unvermittelt, als hätte er die Bettelei satt, fragte er mich: "Ist Journalist ein Traumberuf?"
"Nee, für mich nicht. Sonst würde ich es noch heute und weiterhin machen. Statt Nerven zerfetzenden Themen in aller Welt nachzujagen, schaffte ich es Lokalredakteur in die Wärmestube des Arbeitslosenverbandes. Das ist zwar fast, wie auf die Seychellen zu reisen, aber nur fast."
"Das kann doch interessant sein, wenn man die Augen aufmacht."
"Dann berichten Sie doch von dort im Winter. Auf der Insel gibt es doch gar keine Wärmestube."
Schill nickte. "Werde ich mir merken. Gute Idee, das mit der Wärmestube. Dann fahre ich eben nach Wolgast."
"Ihnen ist kein Weg zu weit für eine Geschichte, die niemanden interessiert?"
Schill neigte den Kopf ein wenig zur Seite und zugleich nach vorn. "Mmhhmm, bin ich niemand?"
Ich war ein wenig ungehalten. "So kommen wir nicht voran. Erzählen Sie mal, wie Urlauber rumlaufen.
Schill schaute zur Zimmerdecke, schlug mit der rechten Faust in seine linke Hand und sagte: "Ich habe eine", holte tief Luft, atmete kräftig aus und fing endlich an:

"Auf der Promenade schlenderte eine Frau in braunen Fellstiefeln, ein mattes Hellbraun, das der Stiefel, sehr vornehm, passend zum Fell ihres Hundes. Dennoch beging sie einen Stilbruch, denn das Halsband und die Leine waren aus glattem, schwarzem Leder.
Ein Mann in silberfarbener Bundjacke und schwarzer Hose ging auf sie zu. Offensichtlich waren sie einander schön öfter begegnet.
Er zu Ihr: Und wie gehts?
Sie: Gut.
Er: Und sonst so?
Sie: Sonst gehts gut.
Er: Und überhaupt?
Sie: Wie, überhaupt?
Er: Na, so generell.
Sie: Achso, ja, generell gut.
Er: Und wollen Sie nicht wissen, wie es mir so im Detail geht?
Sie: Bitte?
Er: Na, im Speziellen.
Sie: Oja, Wie gehts im Detail?
Er: Meinen Details geht es sehr unterschiedlich.
Sie: Welchen Details geht es denn besonders gut?
Er: Meinen Zähnen, besonders meinen Schneidezähnen. Keine Plombe, keine Karies. Vielleicht haben sie im Urlaub etwas zu viel Farbe abbekommen; war ja tolles Wetter. Aber sonst bestens."
Schill grinste mich an und fragte: "Können Sie sich vorstellen, dass was wurde aus den Beiden?"
"Generell oder im Detail?"
"Na, überhaupt."
"Ich glaube, im Detail mag es was geworden sein, weil beide unter Langeweile litten, generell wohl überhaupt nicht.
Aber nun mal im Ernst, wer soll denn so etwas gut finden und deshalb lesen wollen?"
Er zog die blassblonden Augenbrauen zugleich mit den Schultern hoch. "Meinen Sie nicht?"

"Ich werde meine Blogleser fragen", was ich hiermit getan habe.

Montag, 8. Juni 2009

Schill will Zeitung machen

Bei mir hat sich ein Heringsdorfer Vorruheständler gemeldet, klingelte und stand dann vor der Tür, 59, riesig, blond, großbäuchig.

Er möchte von mir schreiben lernen, schließlich hätte ich ja lange für die Inselrundschau gearbeitet; witzig, zweifle ich doch an jedem Tag an mir selbst. Doch er ließ sich nicht abweisen. Er wolle unbedingt ein Bürgerblatt gründen, nur im Internet, weil es nichts kosten dürfe und wohl auch nichts einbringen werde. Er wollte wissen, wie er einen Text beginnen und wie er ihn enden lassen muss. Ich fragte, ob er denn wisse, woher er Themen erhalte, bevor er sich über Anfang und Ende den Kopf zerbreche. Er winkte ab, davon habe er "reichlich im Koppe".

"Nur mit dem Schreiben hapert es", ergänzte er. Ich schlug ihm ein Treffen in einer Woche vor. Bis dahin würde ich es mir überlegen.
So, und nun sitze ich da und überlege, mit der reizvollen Aussicht auf Schreibarbeit und mit der reizlosen Aussicht, regelmäßig etwas abzuliefern, ohne etwas daran zu verdienen.

Wenn ich bedenke, mit welchem Wenig bis Nichts Leute Geld verdienen, ist die Idee
abschreckend. Andererseits hätte ich zusätzliches Tun, denn meine Schreibseminare sind schlecht besucht.

Was mache ich? Folge ich dem Vorschlag Thomas Schills? So heißt er und ich fragte und es
sollte witzig sein: "Ist vielleicht Ferdinand von Schill Verwandschaft?"
"Ich bin kein Von und weiß auch nicht, dass der von Schill Kinder gehabt hätte. Da isser wohl nicht zu gekommen."
Peng, das saß, und das ist der Grund, warum ich noch überlege und ihn nicht einfach seine
Webzeitung allein machen lasse.

Sonntag, 24. Mai 2009

Keinen Cent wert

Habe im Aldi an zwei Tagen dieser Woche in der Insel-Rundschau geblättert und fand bestätigt, was ich schon lange weiß: Die Leser kaufen zumeist Belangloses, Texte, die ihnen keinerlei Nutzen bringen und dann noch schlecht geschrieben sind. Seitenfüllung mit Höchstgeschwindigkeit, um den heiligen Feierabend zu
sichern, scheint den Redakteuren besonders wichtig zu sein. Was da
steht, ist nicht so wichtig.
Es wird immer schlimmer, seit ich die Rundschau verließ, hat aber natürlich nichts mit mir zu tun.

So sollte für die Leser wichtig sein, dass der Oberpräsident gewählt wird. Wichtig ist das doch nur für jene, die auf Posten und Pöstchen rund um den Präsidenten aus sind. Den Lesern auf Usedom ist es egal, wer ihre Steuergelder erhält, da kaum jemand von ihnen die Möglichkeit hat, eines der 150 Pöstchen zu bekommen. Erinnert sich noch jemand an die vorletzte Rede der gerade vergangenen Amtszeit? Ich erinnere mich nur an das wichtige Gesicht, den lehrerhaften Ton des Oberpräsidenten, was ihn lächerlich machte. Der Mann ist mit Amt und Maus überflüssig, kostet nur Geld. Dennoch wird alles um ihn hochgespielt, nur um die Seiten schnell zu füllen, denn Agenturen liefern massig Material, das auch sie sehr einfach beschaffen; es wird ihnen förmlich in die Hand gedrückt.
Noch einfacher ist es, vor der Wahl zu spekulieren, wer denn nun welche Chance auf das Amt hat - auch das völlig bedeutungslos und zeitraubend für die Leser, denn selbst Wahlgierige dürfen den Oberpräsidenten nicht wählen. Wozu auch, hat er doch nichts zu verrichten, außer vorhanden zu sein.
Morgen wird die Rundschau etliche Spalten füllen mit dem Ergebnis der Wahl, mit Volksverblödung per Stellungnahmen von Oberbonzen zum Wahlergebnis.
Ebenso wurde und wird die Rundschau mit dem Langweiler Grundgesetz gefüllt und der Mitteilung, dass wegen des Grundgesetzgeburtstages ein Bürgerfest in Berlin mit Bratwurst und Broschüren stattfand.

Völlig vergessen wird dabei, dass statt der Kolonialisierung der DDR die Chance bestanden hatte, endlich eine Verfassung für einen neuen deutschen Staat zu schaffen. Darüber las ich kein Wort. Stattdessen erfuhren die Leser, wer bereits Oberpräsident war, was jeder im Internet nachlesen kann, ohne einen Cent dafür auszugeben.

Wenn schon Historisches, dann z.B. auch die Geschichte der sozialen Marktwirtschaft, die hier in aller Kürze nachzulesen ist und zeigt, welche Möglichkeiten sich das deutsche Volk entgehen ließ, oder welche ihm genommen wurden:
Wer weiß heute noch, dass in Hessen 1946 die Sozialisierung von
Schlüsselindustrien, Großbanken und Versicherungen per Volksentscheid
beschlossen wurde? Wer weiß noch, dass die Briten im gleichen Jahr die
Schwer- und Montanindustrie in Nordrhein-Westfalen verstaatlichen
wollten? Und wer erinnert sich eigentlich noch an das Ahlener Programm
der CDU, in dem 1947 ein christlicher Sozialismus anstelle einer
kapitalistischen Wirtschaftsordnung gefordert wurde?
Stattdessen erfuhren die Leser auf einer ganzen Seite, dass ein Sturm in einem mecklenburgischen Dorf Teile von ein paar Dächern abdeckte und ein paar Bäume umwarf. Das mag eine schlimme Abwechslung im Alltag der Dorfbewohner gewesen sein, von denen alle unversehrt blieben. Im Grunde genommen ist sie für alle anderen Zeitungsleser unerheblich.

Dagegen ist von außerordentlichem Belang, wie die ein halbes Dutzend Männer in aller Stille fast eine halbe Billion Euro an Banken verteilen. Davon erfahren die Rundschau-Leser nichts. Das können sie auch nicht, weil ohne kommentarischen Widerspruch der meisten Medien und durch Abnicken des Stimmviehs im Bundestag die Regierung einen Geheimbund gründete, der über die Verwendung des Geldes der Steuerzahler entscheidet. Den Steuerzahlern wurde mit Hilfe der Rundschau und vieler anderer Medien die Abwrackprämie schmackhaft gemacht, damit die Zahlenden die Mäuler auch aufmachen, wenn sie mit ihrem eigenen Geld gestopft werden (das nur wenige von ihnen erhalten, um es an die Autokonzerne abzuliefern) und mit dem Geld ihnen auch noch die Augen zugekleistert werden. Sie werden nicht aufmucken und sie werden auch nicht sehen, wie sie hinters Licht geführt werden. Sie werden auch nicht mitbekommen, dass sich die Insel-Rundschau dem Dasein als Kuli der Regierenden hingibt und sich dafür von den Lesern bezahlen lässt.

Das erinnert mich an das mediale Gebrüll nach der Wende, jetzt müssten die DDR-Bürger ohne DDR aber gründlich ihre Vergangenheit bewältigen. Die Altdeutschen hatten keine Vergangenheit und haben auch 20 Jahre später keine, denn es galt zu raffen. Während sich die Medien bildlich die Mäuler zerfetzten über Stasispione und deren Helfer, eigneten sich Altdeutschländler große Teile der DDR an, nachdem sie das Volkseigentumm zu Staatseigentum erklärten, eines Staates, den es nicht mehr gab und dessen Eigentum nun wohlfeil zu haben war - für jene, die das Kapital und die Beziehungen hatten. Einige ließen sich nicht nur beschenken, sondern erhielten sogar noch Geld, Steuergeld, damit sie DDR-Stücke abnahmen. Das war der potenzierte Irrsinn: Die neuen Steuerzahler, die ihren Staat vernichtet hatten, zahlten nun dafür, dass sie enteignet wurden, merkten aber nichts, weil sie mit der Bewältigung ihrer Vergangenheit zu tun hatten.

Nun passiert dasselbe. Den DDR-Ehemaligen wird erklärt, dass sie in einem Unrechtsstaat lebten, andere meinen, das sei nicht so gewesen und wie vor 2000 Jahren wird die Masse mit Brot und Spielen - das Gequassel um den Unrechtsstaat, die Wahl des Oberpräsidenten, das Bürgerfest, der Schauder über abgedeckte Dächer, alles nichts als Brot und Spiele - und währenddessen tut der Geheimbund gerade Gleiches wie damals die DDR-Aufkäufer. Er verscherbelt Steuergeld in unbegreiflicher Höhe und niemand erfährt, wer wie viel davon bekommt.

An beiden Tagen war die Insel-Rundschau keinen Cent wert.

Sonntag, 17. Mai 2009

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Holls einfacher Weg zum Teemischer

Sturmfeld-Leser wissen, wie der Rentner Uwe Holl seinen Tee im Sommer mischte. Er hatte noch andere Tee-Tipps, die Sie vielleicht schon kennen. Eine kleine Wissensauffrischung kann aber nicht schaden und es wird auch bald Sommer sein.
Noch eins: Hier wird nie und nimmer über Tee in Beuteln geschrieben. Sie sollten sich nicht von Teeabpackern Ihre Teemenge pro Tasse vorschreiben lassen.

Der einfache Weg zum Teemischer

Experimentieren bringt Erfinder-Freude und Aroma-Schub

Oft wird Ihnen versprochen, Tee schmecke dann und nur dann nach Tee, wenn sich sein Geschmack im ko­chenden Wasser frei entfalten kann. Er quillt nicht im Tee-Ei, wo die Teeblätter nur eine kleine Chance bekommen, ihre Aromastoffe an das Wasser abzugeben. Die Teeblätter pressen sich einfach zu sehr an­einander.

Das wissen Sie schon lange, ebenso, dass nur frisch sprudelndes Wasser und eine vorgewärmte Kanne dabei hel­fen, viele Aromastoffe aus dem Tee hervorzulocken. Doch geht Ihnen die Bequemlichkeit über alles. Lieber ver­zichten Sie auf das volle Aroma. Außerdem sind Sie als hart trainierter Single niemand, der eine ganze Kanne Tee benötigt. Eine große Tasse reicht Ihnen? Wie wäre es aber, wenn Sie ab heute die Bequemlichkeit des Tee-Eis mit dem vollen Aroma-Schub verbinden könnten?

Zu Ihrer vorgewärmten Tasse benötigen Sie ein feines Sieb. Verzichten Sie auf einen Porzellaneinsatz. Er hat zu wenige Öffnungen. In das Sieb geben Sie den Tee. Jetzt gießen Sie das frisch sprudelnde Wasser durch das Sieb. Richtig voll muss die Tasse werden, denn der Tee saugt eine ganze Menge Wasser auf. Die Teeblätter schwimmen nicht in Ihrer Tasse umher. Dennoch presst sich kein Teeblatt an das andere. Die Aromastoffe ge­hen ungehindert in das Wasser über.

Nun kommt es ganz darauf an, ob Ihr Tee Sie anregen oder beruhigen soll. Sind Sie auf eine Aufmunterung aus, erreicht die Methode das, was Sie unschlagbar macht. Sie können nämlich das siedende Wasser durch das Sieb gießen und diesen Sud trinken, der sich in Sekunden-Bruchteilen des Teekontaktes gebildet hat. Sie haben sich dann den vollkom­menen Muntermacher gekocht, denn die Teeblätter können während dieses blitzartigen Aromen-Entzugs keine Gerbstoffe abgeben. Diese Stoffe sind es nämlich, die das anregende Teein nicht wirken lassen und Sie sich nicht zum hohen C der Munterkeit hinauftrinken können.

Ihre neue Kochmethode für Singles hat einen weiteren Vorteil. Sie können den Kampf gegen die Bevormundung durch die Teeindustrie aufnehmen, die Sie mit aromatisierten Tees und Standard-Mischungen in vorgefertigte Geschmacksrichtungen zwingen will. Lassen sie sich nicht zwingen. Experimentieren Sie mit Mischungen aus grünem und schwarzen Tee, wenn der Tee ein wenig bitter schmecken soll. Oder mischen Sie Pfefferminze mit schwarzem Tee, um einen Wachmacher und Durstlöscher zugleich zu trinken. So tun es die findigen Geor­gier. Merken Sie es? Vanille- oder Mango-Aromen im Tee sind noch lange nicht das Ende der Tee-Kochideen.

Genießen Sie es, Ihre eigenen Mischungen zu finden und zu verfeinern. Werden Sie Erfinder. Und schließlich, lassen Sie sich Ihre Mischungen schmecken und der doppelte Genuss stellt sich ein. Riechen und schlürfen Sie den Tee. Versuchen Sie, dabei nichts anderes zu tun. Während des Trinkens zu fragen: „Was tue ich danach?“ würde nur Ihre Fähigkeit verringern, den Augenblick und damit den Tee zu genießen.

Montag, 11. Mai 2009

Usedomer bekommen keine Schweinegrippe

Erinnern Sie sich noch an die Krankheit, die aus Mexiko über uns gekommen sein, durch Viren ausgelöst sein und mit Schweinen zu tun haben soll?
Möglicherweise stimmt keine der Annahmen. Doch das ist schon nebensächlich.

Hauptsächlich ist, dass ich auf einem Sammelplatz ein altes Elekrogerät abgab. Denn hätte ich das nicht getan, wüsste ich noch immer nicht, warum uns auf der Insel die sog. Schweinegrippe nichts anhaben kann.

Als ich das Gerät aus dem Auto hob, musste ich husten. Ein Mann, wenige Meter neben mir, fürchtete um mich und das abzugebende Gerät, als er sah, wie ich hustete und schwankte und nahe daran war, mit dem Gerät zu stürzen. Der Mann bewahrte mich, indem er das Gerät auffing und ich so mein Gleichgewicht wiedergewann.

Ich sah mich bemüßigt, außer einem Dankeschön noch etwas zu ihm zu sagen und verfiel auf diese Idee: "Der Husten wird doch wohl nicht ein Anzeichen von Schweinegrippe sein?"
Er zögerte keine Sekunde mit einer Antwort: "Hier auf der Insel gibt es keine Schweinegrippe."
"Und es wird hier auch keine geben?"
"Genau."
"Und warum?"
Er sagte in nur ganz wenig vorwurfsvollen Ton, also einem vorwurfsarmen Ton, als müsste ich den Grund kennen: "Das ist die Lage am Meer. Daher kommt die jodhaltige Luft. Und Jod können die Viren nicht ab."

Seitdem beruhige ich mich, dass mir die Schweinegrippe nichts anhaben kann.

Oder kann sie doch? Wie viel Jod ist in dem Brackwasser und wie viel davon gelangt in die Luft? Was ist, wenn tagelang der Wind still steht?
Und wenn jemand eine Wunde mit Jodtinktur desinfiziert, soll das dasselbe sein, als atmete ich gering jodhaltige Luft? Jod ist doch nicht gleich Jod!
Seitdem bin ich wieder unruhig.

Freitag, 1. Mai 2009

Vom "Hände hoch!"

"Hände hoch!"

Wer einem Menschen das Heben der Hände befiehlt, hat ihn bereits in seiner Gewalt. Meist ist der Gewaltausübende im Besitz einer Waffe, mit der er seinen Gegenüber zwingt, die Hände zu heben. Es - das Heben der Hände - dient also dazu, sich der Untätigkeit oder des Brechens einer vermeintlichen Gegengewalt zu versichern. So kann geschlussfolgert werden: Der Mächtigere bekennt mit dieser Aufforderung andererseits einen Rest an Mangel von Macht, die - so glaubt der Auffordernde - der andere besitzt.
Durch das "Hände hoch!" geht also dieser Machtrest an den Sieger über und macht demnach das Opfer im wahrsten Sinne des Wortes machtlos.

Ganz und gar ist die Gebärde des Händehebens eine mit anderen Gebärden nicht vergleichbare. Das Beugen des Knies und des Nackens, die dieser am nächsten kommen, drücken doch anderes aus. Das Heben der Hände hat nicht die Unterwürfigkeit der anderen Gesten. Der Unterlegene reckt, streckt den Körper. Es ist das Sich-Ergeben gegenüber dem Unterwerfer, dem kein Kampf oder dessen Vorbereitung oder Drohung vorausgegangen sein muss; es ist eine besondere Art der Entblößung. Wer sich in Gefahr befindlich zusammenkrümmt, will seine verletzlichere Körperseite schützen, ist Verteidigung. Wer die Hände hebt, entledigt sich der letzten Möglichkeit, sich zu schützen.

Die Gebärde ist, obwohl millionenfach ausgeführt, einzigartig. Es ist nicht die bittende oder fordernde Geste der vorgereckten Hände eines Kindes zum Beispiel. Sie ist grundverschieden von der Geste des Hebens einer Hand, dass das Aufmerksammachen auf sich beinhaltet und geradezu entgegensetzt dem Heben der Faust.

Die Hände im Nacken verschränken lassen, ist eine andere Form des Händehebens. Sie wird angewendet, wenn der Hebende die Hände nicht hoch genug hebt oder anders bekundet, einen Rest von Widerstand entgegensetzen zu wollen. Schließlich zeigt es doch nichts anderes als die Unsicherheit des Machtbesitzenden oder gar seine Angst vor seinem Gegner.

Überhaupt ist dieses "Hände hoch!" eine Geste, die es im Tierreich nicht gibt, typisch menschlich also, weil die Hände sowohl für die Arbeit da sind, als auch unentbehrlich für die Zerstörung.

Ach, der Mensch, was treibt ihn nur, so viel Kraft aufzuwenden, andere unter sich zu pressen, ihnen seinen Willen aufzuzwingen? Und wie grausam ist es, von Menschen gezwungen zu werden, anderer Menschen Willen zu brechen, nicht für sich, sondern für jene, die zuvor unseren Willen brachen.

Sonntag, 5. April 2009

Über das Begrüßen

Heute Vormittag hörte ich beim Rasieren im Radio, der tschechische Präsident habe Obama mit militärischen Ehren empfangen. Das ist natürlich keine Meldung, sondern ein Langweiler, denn es ist Tradition, wenn auch eine blödsinnige, Staatsoberhäupter so zu empfangen. Hätte der Ober-Tscheche den USA-Oberbonzen Obama mit einem Strauß Blumen und ohne alles militärische Getöse begrüßt, wäre das eine Spitzenmeldung gewesen, weil der Ober-Tscheche gegen das diplomatische Protokoll verstoßen hätte. Verkehrte Welt.

Eine Stunde später hörte ich im Radio die Übertragung eines Gottesdienstes als dem Greifswalder Dom. Der Dompfarrer erzählte, dass seine Mutter Besuchern zur Begrüßung stets einen Blumenstrauß ins Gästezimmer brachte. Ich stellte mir vor, was passiert wäre, hätte die Mutter sich ans diplomatische Protokoll gehalten. In Ermangelung von Soldaten hätte sie ihre Söhne nebeneinander vor den Hauseingang gereiht, den größeren mit einem Luftgewehr, den jüngeren mit einem Katapult in den Händen.

Das seit Wochen trainierte Handhaben der Waffen während des Gästeempfanges hätte fehlerfrei geklappt. Mit versteinerten Gesichtern hätten die Jungen dagestanden. Und die Gäste? Sie hätten möglicherweise gedacht, in einem Irrenhaus gelandet zu sein oder die Gastgeber machten sich einen bösen Scherz. Andere hätten darüber hinweggesehen oder wären sogar mir einer Grußerweisung - ausgestreckte Finger tippen an die Schläfe, nicht an die Stirn - vorübergeschritten.

Nunja, das ist nie passiert, der Junge wollte später Schwerter zu Pflugscharen schmieden; hat er zwar nie gemacht, aber er fand die Idee gut. Dazu sagte der Pfarrer leider nichts, auch nicht dazu, dass niemand anderer sich solcher Art als Schmied betätigt hätte.

Ist aber nicht auch der Empfang von Gästen in Hotels durch mitunter absurd Uniformierte ähnlich dem staatsmännischen Ritual?

Warum würde jemand als nicht ganz normal angesehen, der als Privatperson seine Gäste mit irgendwelchen militärischen Ehren empfänge und ein Staatsmann ebenfalls als nicht ganz zurechnungsfähig, der eine Staatsoberhaupt mit einem Blumenstrauß begrüßte. Ganz einfach, es ist der Sinn, der hinter dem militärischen Zeremoniell steckt:

Die symbolträchtigen Absichten eines Empfangs mit militärischen Ehren sind vor allem:

  • Repräsentation der staatlichen Souveränität gegenüber dem Gast (Aufzeigen staatlicher Handlungsfreiheit und -fähigkeit),
  • das Präsentieren der Waffen während des Abschreitens der Front ist eine Mischung aus Demonstration (ich bin bewaffnet) und Vorbringen der Waffe zur Überprüfung auf Munition (ich habe nicht geladen).
  • Erzielung eines guten Eindrucks beim Gast von der Disziplin und dem Ausbildungsstand der eigenen Streitkräfte (Protokolleinheiten werden daher meist besonderem Drill und harter Exerzierausbildung unterworfen)
Bleibt die Frage, warum dieser Quatsch weitergeführt wird, denn es wird auf der Welt eine Menge Geld ausgegeben, um militärische Einheiten zu keinem anderen Zweck als der Repräsentation zu unterhalten. Warum lassen sich die Völker das gefallen und warum finden so viele Menschen Gefallen an der steifbeinigen Herumsteherei und dem albernen Herumhantieren mit Gewehren? Ich weiß es nicht, ahne aber, dass es Glanz, Glitter und Pomp jeglicher Art sind, die die Massen beeindrucken, auch wenn unter den gewaltigen goldfarbenen Schulterstücken der Oberoffiziere schmale Schultern in den ordenbehangenen Uniformjacken stecken und unter den überladenen Mützen schwitzende Glatzen und darunter Gehirne, die auf Krieg sinnen.

Ich wünsche mir und allen Steuerzahlern dieser Welt, dass endlich diese alberne Schau des überflüssigen Brustherauskehrens, dieser sinnentleerten Gockelei, ein Ende hätte und Staatsoberhäupter ihresgleichen und jedermann mit bunten Blumensträußen begrüßten. Es müssten nicht die Blütenketten sein, die Hawaiianer ihren Gästen zur Begrüßung um den Hals legen, aber schön wäre es doch.

Dass wir das nicht erleben werden, zeigt, dass die Welt alles Mögliche ist, nur nicht friedlich und dass die einander empfangenen Staatsbonzen keineswegs Frieden im Sinn haben. Sie haben Krieg im Sinn - welcher Art auch immer - und sie wollen dies mit überflüssigem Pomp verdecken, tun damit aber das Gegenteil: Indem sie versuchen zu imponieren, weisen sie überdeutlich auf ihre Absichten hin.

Sonntag, 29. März 2009

Salon der Dichter

Dass die Inselrundschau nichts über Poetry Slam berichtet, wird daran liegen, dass es auf der Insel keine Dichter gibt, die sich einem Wettstreit stellen wollen, die es auch nicht können, weil niemand zu solch einem Wettstreit aufrief.

Die Redakteure der Inselrundschau haben schwer zu kämpfen, ihr Blatt zu füllen. Doch niemand kam bisher auf die Idee, im Sommer junge Dichter anzulocken, indem sie mit interessierten Kurverwaltungen (Oje! Verwaltungen, ob das etwas werden kann?) zusammen solche Wettbewerbe vorbereitet und in der Rundschau publik macht.
Das würde vielleicht in der Nebensaison besser funktionieren, wenn Greifswalds dichterische Studenten auf solch einen Wettstreit aufmerksam gemacht werden könnten.

Dass solche Veranstaltungen, von Jungpoeten organisiert, in Großstädten seit Jahren Zulauf haben, kann ich belegen. Ob auf der Insel Ähnliches möglich ist, müsste einfach probiert werden. Die Inselrundschau könnte ohne viel Aufwand etwas für junge Poeten tun und darüber berichten und siehe, schon hätte sie ein paar junge Leser mehr und hätte für sich auch etwas getan.

Hier ein Beispiel, wie solch ein Wettbewerb abläuft:

Salon der Dichter

Literaturszene im Kulturzentrum Z-Bau

Die Augen müssen sich erst an das Schummerlicht im Roten Salon des Z-Baus gewöhnen. Die Frankenstraße ist am Freitagabend heller. Auf dem Podium, beleuchtet von einer Schreibtischlampe, ordnen vier junge Männer Papierblätter. Es sind die Poeten, die heute Abend aus ihren Arbeiten lesen werden.

Vor ihnen warten 30 Zuhörer. Die Tische vor den Poeten und die beiden Sofas an den Seiten sind besetzt. An den hohen runden Tischen sind Barhocker frei, auch an der Bar, die dem Poeten-Podium gegenüber liegt. Hier ist es heller vom Licht der Halogenlampen an der rot-schwarz gestrichenen Decke. An den Seitenwänden beschimmern diagonal versetzte Lampen die roten Salonwände.

Vor dem Podium, im Gegenlicht kaum zu erkennen, überbrückt Alexander Nym vom Veranstalter Sprachkrach e. V. eine Zwangspause, entstanden durch widerborstige Technik: „Ich werd’ ’mal ein bisschen quatschen, bis alles angeschlossen ist.“ Ein Zuschauer möchte ihm helfen, empfiehlt, die Poeten könnten sich vorstellen. Doch vom Podium kommt prompt die Ablehnung: „Wer etwas über uns wissen will, kann nachher fragen. Ist wohl besser so.“ Schließlich rät Nym, die Handys abzuschalten, „Piepser, Herzschrittmacher und ähnliche empfindliche Geräte auch“.

Ein Gast mit Brille und wellig wallendem Haar nutzt den Schein der kleinen Windlichter, die auf jedem Tisch stehen. Er zeichnet seine Phantasie auf ein Blatt Papier, wie die vier Poeten es mit jenen Worten taten, die sie jetzt vortragen.

Was aus den Lautsprechern in den Salon schallt, ist fein geschliffene, manchmal derb behauene Poesie, hat nichts mit Herz-Schmerz zu tun, „ich habe alle Liebesgedichte rausgeschmissen“, ist Alltag und wilde Phantasie, will „Räume schaffen, in denen Träume fliegen“. Die Zuhörer erfahren von Herrn Albert, der am Baum hängt, ohne sein Holzbein, das ihn seit Stalingrad trug. Sie hören, warum Rüdiger jetzt in einer Sanduhr die Zeit einteilt, oder was es mit „Blix und Donner“ auf sich hat. Dafür gibt es Applaus von inzwischen 50 Gästen.

Ein Schäferhund-Mischling springt unter einem der Tische auf, auch bei jedem weiteren Beifall, bis sein Herrchen den nicht klatschfesten Hund nach draußen bringt. Im Nachbarraum beginnt eine Bluesband zu spielen, ist durch die graue Blechtür zu hören. Zwei junge Frauen an der Bar küssen sich selbstvergessen und ausdauernd.

In der Pause wechselt eine Frau in Anorak, kurzem Rock, karierten Kniestrümpfen und salonfarbenen Schuhen vom schwarz verhangenen Eingang an einen anderen Tisch. Der Poet Oliver Barfknecht erzählt, dass alle vier Lesenden an der Universität Nürnberg-Erlangen studieren. In der Theatergruppe lernten sie sich kennen und wunderten sich: „Man sollte doch glauben, dass es am Germanistik-Lehrstuhl Leute gibt, die selber Texte produzieren und vorstellen.“ Mit ihrem Quartett gibt es sie nun, neben Barfknecht Volker Berdich und Sebastian Reichert. Später kam Christian Preunkert dazu, der neben Texten die Musik für die Video-Musik-Lesung liefert.

Höhepunkt des Abends wird das Multimedia-Projekt über einen diebischen Nachbarn. Barfknecht lässt seine Zunge im Nachbarn spionieren, um seine gestohlenen Erdbeeren aufzuspüren. Wie bestellt schreit nach dem „Gedicht vom Scheißen“ durch die Blechtür eine Blues-Mundharmonika auf.

Als die Poeten ihre Gäste in die hellere Nacht der Frankenstraße entlassen, klingt der Abend nach: „Stellt euch vor, die Welt wäre aus Gummi und unsere Schuhe aus Stein.“ Einige Zuhörer werden das tun und sich auf die nächsten ersten Freitage im Monat freuen, wenn Sprachkrach wieder zum subkulturellen Sprachvergnügen einlädt.

Sonntag, 22. März 2009

Am Greifswalder Bodden

Am Greifswalder Bodden

Wo Himmel und Meer bleigrau den Horizont verstecken
und der Blick übers Wasser haltlos bleibt,

wo die Möwen, den Zugvögeln gleich, im Keil auf Reisen fliegen,

wo das Pfingstfest letztes Signal für das erste Bad des Jahres ist,
selbst wenn Eisschollen treiben,

wo der Sturm aus Nordwest mich vom Strand weht
und der Frost aus dem Osten sich in die Ohrmuscheln krallt,

wo das Wasser am Morgen eine Glatze trägt,
die Stunde darauf sich Wellen kräuseln
und Minuten später Wogen toben,
eine jede Ebbe und Flut zugleich,

wo Kiefern krummbeinig und schiefhäuptig auf dem Steilufer wachsen,

wo die Sturmflut Wiesen in Seen verwandelt
und Wohnzimmer in Tümpel,

wo hunderte Schwäne im Bodden-Eis zu Tode frieren,
ein Festmahl für Füchse, Krähen und Adler,

wo ich für's Fensterbrett den Donnerkeil und steinalte Muscheln fand,
doch nie einen Bernstein,

wo ich dem Sohn die Gier des Fischjägers weitergab,
wo der erste Tag der alljährlichen Hechtverführung unser Feiertag bleibt,

was soll ich da am Mittelmeer?

Sonntag, 15. März 2009

Des Habilds Hasen vom Hasenbuck

Ein paar Jahre lang lebte ich in Franken. Dort habe ich so viel gelernt, wie zuvor in sechs Jahren. Ich lernte dort Leute mit Ideen kennen, z.B. den Apotheker Gert Habild, der seine Apotheke im Stadtteil Nürnberg-Hasenbuck betreibt.

Weil in allen möglichen Läden seit Wochen Ostersachen angepriesen werden und weil es bald Frühling wird (In einer regionalen Zeitung wäre zu lesen: "Der Frühling steht vor der Tür." Das ist natürlich Quatsch, denn der Frühling steht vor keiner Tür, liegt auch nicht davor und auch nirgends woanders.), erinnerte ich mich an den Apother und an das, was ich von ihm weiß: In seinem Laden stehen, sitzen, liegen und hängen Osterhasen aus aller Welt, das ganze Jahr über. Sogar Notizzettel, die er verschenkt, sind behast:

Wer Gert Habild eine Freude machen möchte, schenkt ihm einen Hasen. Ob Plüsch, Holz, Blech, Plaste, Porzellan, Glas, Schokolade oder gemalt und gezeichnet, spielt keine Rolle. Hauptsache der Löffelträger ist originell. Dass es ausgerechnet Hasen sind, hat mit seiner Apotheke zu tun. Sie liegt im Stadtteil Hasenbuck.

Als Gerd Habild Anfang 1997 die Apotheke in der Rieppelstraße übernahm, hatte er die Idee, zu Ostern das Schaufenster mit Hasen auszustatten. Einige Meister Lampe aus dem Baumarkt wurden so der Beginn seiner Sammelleidenschaft. Ein Hase wurde auch zum Logo der Apotheke. Die Frau eines Freundes, eine Grafikerin, entwickelte es: den breiten, lächelnden Kopf mit den besonders schlanken Ohren.

„Öfter mal was Neues“ ins Schaufenster zu stellen, sei interessanter für die Kundschaft, meinte der Apotheker. Also wechselte er von Zeit zu Zeit die Hasen-Dekoration. Nur im Weihnachts-Schaufenster standen Engel und Räuchermännchen. Doch selbst dort fand sich ein Hase, aus Holz geschnitzt und deshalb ein wenig getarnt.

Wer öfter an der Apotheke vorbeikommt, entdeckt Hasen mit Pilzen in der Pilzzeit, Hasen mit Ranzen, wenn die Ferien enden und traditionell einmal jährlich ein Mohrrüben-Schaufenster. Zum wahren Entdecker wird, wer die Apotheke betritt. In den Regalen, zwischen Arzneien, an allen Ecken und Enden stehen, sitzen, liegen oder hängen Hasen. Vom Kitsch- zum Kunsthasen sind es oft nur Zentimeter. So steht auf einem Meter hohen Sockel das Kunstharz-Modell des kleinen Hasen von Jürgen Goertz, dessen Original ganz blank von Streichelhänden am Tiergärtner Tor steht. Gern zeigt Gert Habild das Plakat von Toni Burkhart mit dem Dürer-Hasen aus dem Jahr 1971.

Ist der Apotheker auf Reisen, schaut er natürlich nach Auslands-Hasen. Aus Indien brachte er Hasen-Büchsen aus Pappmaché mit, eine Hasen-Kinderrassel und einen Hasen reitenden Buddha aus Kambodscha, Hasen mit Instrumenten aus England und Griechenland.

Aber auch Absonderliches sammelt Habild, zum Beispiel eine Häsin im neongelben Abendkleid, einen Hasen im Froschkostüm oder einen Bären im Hasenkostüm. Als die Ente Paula der Nürnberger Nachrichten zu Ostern Hasenohren zum Umbinden erhielt, kaufte der Apotheker gleich 50 dieser Ohrenpaare. So kann er alle möglichen Plüschtiere in Hasen verwandeln.

Etwa 500 Hasen hat der Hasenbuck-Apotheker in sieben Jahren gesammelt. Wie viele genau, weiß er nicht, denn ab und zu verschenkt er auch Teile seiner Sammlung. Inzwischen geht das Sammeln über das eigentliche Objekt hinaus. Aus dem Bezirksmuseum Berlin-Charlottenburg brachte er ein Heft mit Osterhasen-Gedichten mit. Er besitzt den Katalog des Osterhasen-Museums in München. Und natürlich weiß er, dass der Hase in Kambodscha das Symbol für den Mond ist.

Was Gert Habild in diesem Jahr zu Ostern ins Schaufenster stellt? Es könnte sein, dass es mit Hasen zu tun hat.

Sonntag, 8. März 2009

Der Turm auf dem Dach (2)

Sie wissen noch, dass Uwe Holl mir alles Mögliche erzählte, aber die Geschichte vom Turm auf dem Dach nicht zu Ende brachte. Ich meine, er wollte sie nicht weiter erzählen und hatte wohl gehofft, ich würde vergessen, danach zu fragen. Da kennt er mich aber schlecht. Natürlich wollte ich das Ende wissen, sie vielleicht auch. Hier ist es:

Der Turm auf dem Dach (2)

Wir saßen an einem Freitagvormittag seit sechs Uhr in dem Turm auf dem Dach des Hauses der Ministerien und uns war nach Kaffeetrinken zumute. Wir riefen die Streife herbei.

Vom Dach konnten wir weit nach Westberlin hineinsehen. Dort gab es zwar nicht viel anzuschauen damals, aber es war der Westen. Ich schaute über den Leipziger Platz mit dem Abgang zur U-Bahn, konnte weiter nach rechts das Brandenburger Tor sehen, mit dem Ministergarten zwischen Leipziger Straße und Tor, in dem heute die Landesvertretungen stehen.
Wir hörten das Klappern und Scheppern auf dem Dach - die Streife erlöste uns für eine Weile.

Während wir nach ausgiebigem Toilettengang geruhsam Kaffee tranken, passierte dies:

Ein junger Mann hatte sich aufgemacht, nach Westberlin zu flüchten, bei strahlendem Sonnenschein, an einem Freitagvormittag, nicht zu fassen. Die Streife hatte ihn beim Übersteigen des Hinterlandzaunes an der Wilhelmstraße entdeckt und es sogleich gemeldet. Der Bursche schlenderte am Haus der Ministerien vorbei in aller Ruhe gen Mauer. Nirgendwo im Grenzabschnitt war die Entfernung zwischen Hinterlandszaun und Mauer größer. Grenzede hatte 500 Meter zu schlendern. Sein Fehler: Er konnte keinen Postenturm entdecken. Der Zugführer gab dem Postenpaar im Bahnhof Potsdamer Platz den Befehl, aus dem Untergrund aufzutauchen und den Mann festzunehmen.

Er schlenderte ihnen direkt in die Arme, als sie die Stufen der U-Bahnstation emporliefen. Der Mann hatte keine Ahnung, dass auch vom Haus der Ministerien während der gesamten Zeit eine Kalaschnikow auf ihn gerichtet war.

Der Postenführer rief: "Halt an! Brauchst keine Angst mehr vor uns zu haben!" Er betonte das "uns". Er wusste, nun würde der Mann verhört werden und musste ins Gefängnis.
Hier hätte er sterben können. Erst wenn er aus dem Grenzgebiet haraus war, würde er sich ängstigen.

Sonntag, 22. Februar 2009

Der Turm auf dem Dach (1)

Uwe Holl hatte noch eine Geschichte zurückgehalten, die ich erst kürzlich erfuhr und die ich Ihnen weitergebe. Ich weiß nicht, ob ich sie glauben soll. Er schilderte das Geschehen so lebhaft, dass ich Mühe habe zu glauben, auch er habe sie sich nur erzählen lassen. Hat er aber, behauptete er steif und fest, wie er nun mal ist. Sie kennen ihn ja.

Der Turm auf dem Dach (1)

Der Postenführer war der Herrscher an der Grenze. Dort hatte ihm niemand reinzureden oder gar herumzufuhrwerken. Tat es jemand, konnte es lebensgefährlich werden, denn jeder Posten und jeder Postenführer schleppte 60 Schuss in zwei Magazinen mit sich herum.
Natürlich waren wir die Herrscher und ebenso auch nicht, denn durch den Drill im ersten Diensthalbjahr, durch die Unterdrückungsmaschinerie waren wir zurechtgebogen worden, ob wir es wollten oder nicht. Mir wurde auch erst später klar, dass wir nicht die Herrscher waren, sondern die Werkzeuge, die sich jedoch vor sich selbst mit der Herrscherei brüsten konnten.

Mitunter nutzten wir aus, dass wir die Chefs an der Grenze waren. Hatte sich ein Kapo unfreundlich verhalten, versucht, uns allzu arg sportlich zu ertüchtigen oder anderweitig den Unmut auf sich gezogen, verabredeten wir: "Der soll sich einen Wolf laufen." Unteroffiziere, also die Kapos, liefen Streife, zogen also zu Fuß von Turm zu Turm. Besonders wenn es regnete, lungerten sie auf einem Postenturm herum und sorgten meist für schlechte Laune. Das war die beste Gelegenheit, die Streife durch den Grenzabschnitt zu jagen. Hier löste ein Signalzaun wie von Geisterhand aus und musste kontrolliert werden. Dort tauchten Schatten auf - natürlich am anderen Ende des Grenzabschnittes, damit der Weg recht lang war - und die Streife musste nachschauen, ob es nur ein Schatten war. Plötzlich wurden Turmbesatzungen von Durchfall geplagt und mussten zeitweilig ausgelöst werden, um sich entleeren zu können. Es war sehr einfach, die Streife durch den Abschnitt zu hetzen, denn jedes Postenpaar konnte den Sprechfunk im gesamten Abschnitt mithören. Pech war es nur für den Soldaten, der mit dem Kapo als zweiter Mann Streifendienst hatte. Aber der wusste immerhin kurz vor dem Dienst Bescheid, was er zu erdulden hatte und wurde im Nachhinein mit Zigaretten und Kaffee belohnt.
Diese Streifen streiften immer in der Besetzung Kapo/Soldat durch die Grenzabschnitte, im Gegensatz zu denen, die ich schon beschrieben hatte, Nebelstreife, Friedhofstreife oder das Absuchen von Ruinen, solche, die nur von Zeit zu Zeit gebraucht wurden.

Die Streifen hatte natürlich auch ihr Gutes. So ließen wir uns regelmäßig von ihr auslösen, um in der Kantine des VEB Deutsche Schallplatten Kaffee zu trinken. Die Kantine war sehr gemütlich, schön warm im Winter und ich traf dort einige bekannte DDR-Künstler, z.B. Gisela May. Die fühlten sich wohl eher durch uns belästigt.

Sehr gefragt war auch die Kantine im Haus der Ministerien, heute Finanzministerium. Die Kantine und ihre Toilette besuchten drei fast oder völlig unsichtbare Postenpaare. Unsichtbar, weil zwei Postentürme auf zwei Ecken des Flachdaches des ministeriellen Hauses besetzt waren und von der Wilhelmstraße kaum zu sehen waren. Überhaupt nicht zu erkennen war der Posten in der U-Bahn-Station Potsdamer Platz, natürlich der Abgang zur Station auf der Ostseite der Mauer. Es war der außergewöhnlichste Posten, nicht nur, weil er unterirdisch war. Es ging die Treppe hinunter auf eine Plattform, in eine kleine Halle, dann weitere Stufen hinab auf den Bahnsteig, allerdings nur ein paar Meter. Der Bahnsteig war zugemauert. Ins Mauerwerk eingelassen waren zu den Gleisen verglaste Sehschlitze und geradezu eine verschlossene Stahltür, wie in einem Bunker. Dort unten zu sitzen war entsetzlich langweilig. Die Langeweile vertreiben wir uns mit dem Anschauen uralter Westillustrierter, die vom vielen Blättern zerfleddert waren.

Ehe jemand in das Geheimnis der Westillustrierten eingeweiht wurde, mussten ihm natürlich die Postenführer vertrauen. Eine Nachts schlenderten mein Postenführer und ich durch die Halle, als er stehen blieb, sich bückte und einen Stein aus der Wandverkleidung zog. Dahinter war ein Hohlraum; er langte hinein, holte die Zeitschriften hervor und sagte: "Aber Schnauze halten." Wie ich dann sah, gab es mehrere solcher Verstecke.
Die Gleise führten nur ein kleines Stück durch den Osten und eben durch den Bahnhof. Die Westberliner wussten natürlich, dass sie durch die Station im Osten fuhren und warfen alles nur Erdenkliche aus den schmalen oberen Fenstern, auch Illustrierte. Die hätten natürlich abgegeben werden müssen, aber einige wurden für die Allgemeinheit versteckt. Doch leider warfen sie auch mit Flaschen. Ganz schlimm war es, wenn die Fans zu Spielen von Hertha BSC fuhren oder von ihnen zurückkehrten. Einige begnügten sich damit, fahnen zu schwenken. Doch es flogen auch jede Menge Feuerwerkskörper aus den U-Bahnen.
Wir meldeten, wenn wieder Unrat aus der Bahn geflogen war. Die Streife kam dann und musste aufräumen. Deshalb die Panzertür. Kumpel unter den Kapos lieferten die Zeitschriften nicht ab, sondern lasen sie mit dem Postenpaar, und einige der Illustrierten blieben in der Station, wurden versteckt und wie eine Art Heiligtum von Posten- zu Postengeneration weitergegeben.

Apropos Wurfsachen. Dort, wo Postentürme nahe der Mauer standen, flogen häufig Gegenstände, meist Steine, aus Westberlin. Nahe des  Reichstagsgebäudes - Dorotheenstraße, Ecke Ebertstraße - stand ein Turm mit einem großen Hochstand gegenüber, auf dem häufig Touristen die Mauer, uns "Greposchweine" und den Osten besichtigten. Dort wurden die Grenzer so oft mit Steinen beworfen, dass eine Stahlplatte mit zwei Sehschlitzen vor das Fenster montiert worden war.
An einem Sommerabend stiegen zwei Männer auf den Hochstand, schauten herüber, unterhielten sich, bis einer der Männer ausholte und etwas in unsere Richtung warf. Es klapperte am Postenturm und wir konnnten uns nicht erklären, womit wir beworfen worden waren. Es folgten noch mehrere Würfe. Dann zeigten die Männer in unsere Richtung, wandten die Zeigefinger nach unten, machten uns so auf ihre Wurfgeschosse aufmerksam. Ich hatte schon längst die Streife gerufen. Die sollte nachschauen, was am Turm lag. Wir konzentrierten uns, weil wir fürchteten, abgelenkt zu werden: Lauerte jemand, der in den Westen abhauen wollte?
Doch es passierte nichts. Die Männer zogen sich zurück.
Die Streife kam zu uns hochgestiegen. Der Kapo grinste, öffnete die Hand, in der Münzen lagen. Die Männer hatten uns 72 Westpfennige in kleinen Münzen herübergeworfen. Stellen Sie sich vor, Merten, ich wäre damals hinuntergestiegen und hätte das Geld eingesammelt.

Was daran so schlimm gewesen wäre? Selbst wenn ich ein Ablenkungsmanöver ausgeschlossen hätte, wäre es zum einen erniedrigend gewesen, sich vor diesen Kerlen wegen 72 Westpfennigen zu bücken. Zum anderen wussten wir nicht, ob einer der beiden nicht eine Kamera gezückt hätte und ich am nächsten Tag auf Seite eins der BILD-Zeitung zu sehen gewesen wäre. Was, ich war zu misstrauisch? Sie haben keine Ahnung, Merten. BILD-Fotoreporter waren häufig an der Mauer unterwegs. So wurden einmal zwei Soldaten abgelichtet, die die Hinterlandmauer weiß zu streichen hatten. Sie lehnten mit freien Oberkörpern an der Mauer und hatten über sich riesengroß mit irgendetwas Schwarzem "EK 47 Tage" gemalt, was so viel hieß wie "Entlassungskandidat, habe noch 47 Tage zu dienen". Ich schätze, sie haben einige dieser Tage bei Knast-Ernst in Treptow oder gar in Schwedt verbracht und mussten die Tage nachdienen.

Jetzt bin ich aber vom Thema abgedriftet. Schade Merten, die Besuchszeit ist vorüber. Ich erzähle Ihnen das nächste Mal den Rest.

Da war nichts zu machen. Sie müssen sich nun bis zum nächsten Besuch gedulden.

Sonntag, 15. Februar 2009

Die Besucherin

Nun war ich noch einmal in Stralsund, um Uwe Holl zu besuchen. Der Grund war Heli Anthus, eine der wenigen treuen Leserinnen meines Blogs. Sie fragte:
Sind Sie der Einzige, der ihn besucht? Als Sie in seiner Wohnung auf der Insel noch mit ihm sprachen, wurden Sie doch einmal von ihm fortgeschickt, weil er Besuch erwartete. Haben Sie nie erfahren, wer das war?

Tatsächlich hatte ich Holl nicht danach gefragt. Ich war so sehr mit seinen Erinnerungen beschäftigt, dass ich nicht daran dachte. Außerdem meinte ich, dass der Tod seiner Frau ihn noch zu sehr beschäftigte.

Ich gab die Anthusschen Fragen an Holl weiter. Er war ein wenig knurrig, wollte nicht antworten, sondern wich aus. Er sagte: "Das ist nicht Vergangenheit, sondern Gegenwart. Hatten wir uns nicht darauf geeinigt, in der Vergangenheit zu bleiben?"
Ich antwortete, ich wüsste von dieser Abmachung nichts. Außerdem sei das nicht Journalisten-Neugier.
"Was dann, Mitleid, weil ich keinen Besuch außer unseren Fragestunden bekomme? Niemand braucht mich zu bemitleiden."
"Es ist Mitgefühl, Herr Holl, nicht Mitleid."
"Na, nun mal keine Haarspaltereien."

Ich fragte einfach geradeheraus weiter: "Wer besucht Sie denn außer mir?"
"Sie können aber auch keine Ruhe geben. Nunja, Frau Anders von der Volkssolidarität kommt manchmal vorbei. Sie rückt ja allen Rentnern in Koserow auf die Pelle, denkt, sie müsse sich um alle kümmern."
Klar, Astrid Anders, die Kleine, die Flinke, die Verführerin mit Speis und Trank. Wer die Sturmfeld-Geschichte kennt, weiß, dass sie sich mir mit ihrem Fahrrad in den Weg stellte, als ich einen Termin mit Holl hatte, dem ich zu früh vor der Tür stand und deshalb noch Richtung Steilküste spazierte. Astrid Anders, so eine, der niemand entgeht, nicht einmal Uwe Holl, der Knurrhahn.

Ich sagte: "Frau Anders kenne ich ganz gut. Sie brachte mir die Termine für die Rentnerveranstaltungen und lud mich auch immer gleich ein."
Holl lächelte und antwortete: "Ja, das kann sie gut" und nickte mehrmals ganz leise in sich versunken.
Genau das war der Augenblick, in dem mir das bekannte Licht aufging: Holl, du alter Gauner, du hattest dich vor unsrerem Termin mit Astrid Anders unterhalten, von wegen, da kommt so ein Presseheini, der mich ausquetschen will. Kann ich den reinlassen? Und die flinke Runde wird ihm geantwortet haben, sie hätte keine schlechten Erfahrungen mit mir gemacht. Da hat er sich für die Gespräche entschieden. Ich habe das alles der Frau Anders zu verdanken!

"Na, Merten, schwillt Ihnen die Brust? Passen Sie auf, dass die Hemdknöpfe nicht wegfliegen", sagte Holl und schaute mich mit leicht zusammengekniffenen Augen an, skeptisch eben. Ich hatte mich tatsächlich gereckt und tief eingeatmet. Mensch, bist du stolz darauf, von Rentnern anerkannt zu werden? Ja, bin ich, wenn ich bedenke, wie enttäuscht Holl von meinem Ex-Chef Behr war, der Holl auf fiese Art hatte abblitzen lassen.

"Nicht ablenken, Herr Holl. Frau Anders besucht Sie manchmal im Gefängnis, weil sie Sie auch in Koserow besucht hatte. Geht die Solidarität der Volkssolidarität so weit?"
Holl sagte: "Die der Volkssolidarität wohl nicht, die der Frau Andres sehr wohl."
Ich schaute ihn nur an. Jetzt frage ich nichts, sondern versuche, ihn durch schweigen zum Reden zu bringen.
Vielleicht verging eine Minute. Dann endlich sagte er: "Sie lassen ja doch nicht locker. Von einer Frau geschieden, eine zu Grabe getragen, da wird man vorsichtig mit neuen Verbindungen; Astrid auch. Sie hat ihren Mann betreut, bis er sich endgültig zu Tode gesoffen hatte. Das dauerte mehrere Jahre. Es muss furchtbar für sie gewesen sein. Sie erzählt nicht viel davon. Zum Schluss hat sie nur noch Kotze weggewischt, gewindelt, und natürlich hat sie gewaschen, ihren Mann und die viele Dreckwäsche. Aber sie hat zu ihrem Mann gehalten, bis zum Ende. Das wollte sie so oder anders nicht noch einmal durchmachen. Deshalb haben wir immer ein wenig Abstand zueinander gehalten und haben vermieden, den Alltag in unsere Beziehung einziehen zu lassen. Logisch, dass wir nicht zusammenzogen. Und trotzdem hält sie nun zu mir, obwohl ich noch eine Weile im Knast zubringen werde. Das ist schon schön."
"Bei guter Führung kommen Sie doch früher wieder raus." Warum ich das sagte, weiß ich immer noch nicht.
Holl meinte nur: "Aber zwei Jahre muss ich absitzen und die Zeit bis zum Lebensende scheint immer schneller zu vergehen. Wenn das so weitergeht mit Astrids Besuchen, könnte es doch noch enger werden mit ihr, wenn ich hier wieder raus bin."
"Dann hat es auch sein Gutes, im Stralsunder Knast zu sitzen?"
"Ja Sie nun wieder! Witz, komm raus." Nach kurzer Pause sagte er noch: "Aber im Grunde haben Sie Recht."

Holl erzählte mir an diesem Tag noch eine Geschichte von der Grenze, wie er auf dem Potsdamer Platz einen Grenzede nicht festzunehmen brauchte, weil Holl gerade auf der Toilette war.

Sonntag, 8. Februar 2009

Der uniformierte Grenzgänger

Uwe Holl berichtete mir, wie er zum einzigen Mal in seinem Grenzerleben jemanden festnahm. Es war ein ganz besonderer Gefangener.

Der uniformierte Grenzgänger

Streife laufen war eine beliebte Abwechslung vom Postendasein auf den Türmen - bei gutem Wetter. Das System, wann wer Streife zu laufen hatte, habe ich nie begriffen. Ich hatte höchstens zwei Dutzend Mal Streifendienst. Einige Kameraden waren ständig zum Streifendienst eingeteilt.

Das Erlebnis Friedhofstreife kennen die Sturmfeld-Leser schon: nachts, bei Frost und Schnee und mit dampfender Grube war sie eine Dauerbelastung.

Anstrengend unter höchster Anspannung waren die Nebelstreifen. Ausgerechnet nach dem Nachtdienst wurde ich mehrmals völlig übermüdet in den Nebel geschickt, ich glaube, nach sehr kurzer Ruhepause. Im Nebel in der Mitte eines Grenzabschnittes konnte ich keinen der beiden Postentürme sehen.
Klar, wir waren angemeldet. Aber wussten wir, wie gut oder schlecht die Posten auf den Türmen geschlafen hatten? Ich kannte einige Kameraden, die grundsätzlich zu Dienstbeginn auf dem Turm die Kalaschnikow durchluden und sicherten, um möglichst schnell schießen zu können - entsichern und abdrücken. Wurde der Turm im Nebel erkennbar, hatte ich jedes Mal ein mulmiges Gefühl.
Aber ist ja alles gutgegangen, kam auch niemand aus dem Nebel gen Mauer geflitzt. Nach Nachtschichten brannten mir die Augen bis zum Einschlafen. Nach anschließender Nebelstreife brannten die Augen den ganzen Tag, so stierten wir in den Nebel.

Und dann kam die Streife in einer Straße hinter der Charité. Es war die schmalste Stelle zwischen Bebauung und Mauer. Die Mietskasernen waren leergezogen. Zwischen ihnen und der Mauer waren nur der Gehweg, die Straße und der andere Gehweg. Der war mit Sand bedeckt, um eventuelle Grenzdurchbrüche mit Spuren belegen zu können, falls die Posten geschlafen hatten. Vor der Mauer waren Gitter ausgelegt, die wie umgedrehte Eggen aussahen. Wer dort rauffiel ... Bei dem Gedanken zieht sich heute noch mein Kontraantlitz zusammen.
An einem Ende der Straße stand ein Postenhäuschen aus Holz zu ebener Erde. Der gegenüberliegende Posten war hinter der Häuserfront, weil die Grenze dort einen Bogen machte. Damit war auch klar, wer für welchen Abschnitt zuständig war. Außerdem war ausgeschlossen, dass sich die Posten gegenseitig beschossen, sollte Grenzede kommen. In der Mitte des Straßenabschnittes stand auf westlicher Seite ein Hochstand vor einem Eisstadion. Von dort wurden wir mit Westmusik berieselt, eine höchst willkommene Ablenkung.

Ich wurde mit meinem Posten bekannt gemacht, einem Hundeführer. Doch er machte sich erst einmal mit mir bekannt, indem sein Schäferhund mich wie aus dem Nichts ansprang. Es war ein Scherz des Hundeführers, wie er sagte, "bloß zum Angewöhnen".
Die Köche, die Hundeführer, die wir Dackellenker nannten und die Kanalkontrolle, die das Abwassersystem kontrollierte und die für uns Gullyrutscher waren, dienten in einer gesonderten Kompanie.
Klaus, der Hundeführer, kannte jedes Haus genau. Er hatte sie schon oft durchstöbert. Ich hatte keine Ahnung. Wir durchsuchten durch die leergezogenen Wohnungen, schauten aus den leeren Fensteröffnungen Richtung Charitégelände. Es waren Heime oder Dienstwohnungen, ich weiß es nicht mehr genau, in die wir schauten und deren Bewohner uns unvergessliche Erlebnisse bescherten. Ich weiß, das war gemein. Außerdem hätte Grenzede während dieser Zeit leichtes Spiel gehabt.

Als wir auf die Straße hinaustraten, kamen uns zwei Uniformierte entgegen, Grenzer? Als wir nahe genug waren, rief ich das Pärchen an. Sie sollten die Parole nennen. Für jeden Grenzdienst wurde eine neue Parole erfunden. Wer sich die wohl immer ausdachte?
Unbeirrt kamen die beiden auf uns zu. Ich rief erneut nach der Parole. Nichts, sie gingen einfach auf uns zu, als wären wir Luft.
Noch 15 Meter.
Ich konnte nun die Gesichter gut erkennen, keines war mir bekannt. Das war bedrohlich.
Jetzt hatte ich die Nase voll. Ich riss die Kalaschnikow von der Schulter und rief: "Halt! Stehen bleiben oder ich schieße!"
Ich schaute kurz zum Hochstand, doch der war nicht besetzt; es war also kein abgesprochener Fluchtversuch. Die Uniformierten waren keine zehn Meter mehr entfernt. Ich entsicherte, lud durch und schrie: "Halt!"
Noch zwei Meter!
Da schoss neben mir der Schäferhund los auf den vorderen Uniformträger, knallte die Vorderläufe auf die Schultern des Mannes und ich brüllte: "Hinlegen! Beide Hinlegen!"
Endlich gaben sie nach und legten sich auf das Kopfsteinpflaster.

Der Posten im Holzhäuschen hatte in der Zenrale Bescheid gegeben, dass wir jemanden festnahmen.
Es ging blitzschnell, dass der Trabi heranraste. Da ich den beiden auf dem Boden "Schnauze halten, kein Ton jetzt" empfohlen hatte, erfuhr ich jetzt erst vom Zugführer, dass wir den Kompaniechef der Dackellenker und Gullyrutscher und einen seiner Unteroffiziere festgenommen hatten. Am liebsten hätte ich beiden in den Hintern getreten. So, wie sich gerade erhoben, hätten sie gleich wieder langgelegen.

Klaus und ich wurden später abgeholt. Ich fragte ihn: "Warum hast du denn deinen Hund auf deinen Kompaniechef losgelassen?"
"Weil er ein Arsch ist. Du kannst dir nicht vorstellen, was das für ein Vorbeimarsch für mich war. Die können uns doch nichts. Schließlich ist erledigt, wer die Parole nicht sagt."
"Stimmt. Hätte sein können, dass er gar keinen Dienst hat und abhauen wollte."
"Wie bescheuert der ist, siehst du schon daran, dass er dieses Theater genau vor einem Hochstand spielt. Mann, wenn das drüben einer mitbekommen hätte - das Eisstadion wäre leer und der Hochstand voll. Und wir ziehen hier so eine Show ab."
Mir fiel ein: "Und dann noch einer mit 'nem Fotoapparat und wir demnächst mit dem Bekloppten in der BILD-Zeitung. Schönen Dank!"
"Ohgott, haben wir Schwein gehabt.!
"Und dein Ko-Chef erst mal. Der könnte jetzt tot sein."
"Oder er hätte einen zerbissenen Unterarm."

Was der Hauptmann gemacht hatte, war verboten: Verdeckte Kontrolle war untersagt, also das Anschleichen an Posten oder solch ein Quatsch, den der Hauptmann gemacht hatte. Das war auch verdeckte Kontrolle. Die war lebensgefährlich und deshalb verboten.
Wie mir Klaus erzählte, war des Ko-Chefs Hobby die verdeckte Kontrolle gewesen. Einmal war schon auf ihn geschossen worden, als er sich über einen Hinterlandsmauer zurückziehen wollte. Eine Kugel soll einen seiner Hacken gestreift haben. Ob es stimmt, weiß ich nicht. Klaus verbürgte sich dafür, obwohl er nicht dabei gewesen war. Vorstellen konnte ich es mir seit meiner Begegnung mit dem Kerl allemal.

Warum er den Mist genau vor dem Hochstand abzog, konnte ich nicht verstehen, auch nicht, warum er es überhaupt tat. Viel los war in seinem Koppe wohl nicht.
Ich erhielt am nächsten Tag vor 30 feixenden Soldaten meiner Kompanie einen Dank vor der Front, weil ich richtig und der Hauptmann falsch gehandelt hatte.

Angst hatte ich während der gesamten Begegnung mit dem Hauptmann nicht verspürt. Ich hatte sogar den Hundeführer an meiner Seite vergessen, bis er den Hund auf seinen Kompaniechef hetzte.
Ich kann mir das bis heute nicht erklären, denn die Angst kam danach, immer, wenn ich Streife lief. Bloß gut, dass das nicht oft vorkam.

Sonntag, 1. Februar 2009

Allmächd! Zwei Mal Neunhof

Bevor ich noch einmal den einsitzenden Rentner Holl zu Wort kommen lasse, muss ich Sie über eine weitere misslungene Karriere in meinem neuen Leben ohne Insel-Rundschau informieren.
Um die Karriere tut es mir nicht leid. Reisejournalist zu bleiben, ohne Schleichwerbung zu verbreiten, ist schwierig. Außerdem wird in so vielen Reiseportalen über Urlaub und Hotels berichtet, dass spezialisierte Journalisten bald durch PR-Leute ersetzt werden.

Diesen Reisebericht nahm mir niemand ab, obwohl er sehr nützlich ist.

Wenn Sie mal nach Nürnberg kommen und viel Zeit mitbringen, könnten sie auch einen Patrizierlandsitz mit Renaissancegarten und seltsamen Figuren an den vier Ecken des Gartens besuchen. Aber aufpassen, sonst rufen auch Sie:


Das Museums-Schloss bei Nürnberg besichtigen? Auf geht’s! Aber fahren Sie zum richtigen Touristen-Ziel. Selbst 275 Jahre alte Zwerge, die es eigentlich wissen müssten, suchen eine Nacht lang vergebens.

„Allmächd! Was sind das für Wichte, die in meinen Neunhofer Schlossgarten hineinwackeln? Sind kaum zu erkennen im Mondlicht. Irren auf den Wegen umher, als wollten sie mir altem Gespenst Angst einjagen. Da kann ich nur lachen. Diese Zwerge werde ich gehörig erschrecken.“ Bruno, seit 1279 Neunhofer Schlossgespenst, durchrauscht die Dachluke, schwingt sich hinab in die Baumkronen und umrast als blutroter Nebel mit Donnergetöse die vier Zwerge. Die drängen sich ängstlich zwischen den Rosenbüschen aneinander.

„Ihr komischen Kobolde, ihr sandsteinernen Witzfiguren, was habt ihr im Neunhofer Schlossgarten verloren?“, grollt Bruno. Nur einer der Zwerge wagt es, den Blick zu heben: „Wir sind die vier Zwerge aus dem Germanischen Nationalmuseum, die einst hier im Garten standen. Ich bin das Bratwurstmännle. Während wir es im Museum warm und trocken haben, stehen Kopien von uns im Garten. Wir sind hierher gekommen, um nach unseren Klonen zu schauen. Wir wollen ihnen Mut zusprechen, damit sie noch recht lange durchhalten und wir nicht wieder sandsteinsteif hier herumstehen müssen. Wir können unsere Ebenbilder aber nicht finden.“ Beim letzten Satz hebt das Bratwurtsmännle keck den Kopf.

„Was seid ihr nur für trübe Tassen? Ich geistere nun schon 700 Jahre durch Schloss und Garten. Steinzwerge standen hier noch nie.“ Bruno legt all seine gespenstische Kraft in seine Dröhnstimme und brüllt die Zwerge an: „Ihr Wichte wollt mich wohl auf den Arm nehmen?“ Als er die Ärmchen der Zwerge sieht, lacht er wütend mit einem schaurigen Echo, dass den Männchen der Sand von ihren Knien rieselt. Jetzt ist es das Eiermännle, das zuerst die Fassung wiedergewinnt: „Aber das ist doch der Garten in Neunhof .“ Es hält seine Hand schützend über die Eier in der Schüssel.
„Ja, unser Garten“, mischt sich mutig geworden sogar das Lautenmännle ein und schaut dabei hinter dem Dickbäuchigen hervor.
„Ihr seid im Schlossgarten in Neunhof bei Lauf. Wolltet Ihr etwa in das Neunhof bei Kraftshof?“, fragt das Schlossgespenst voller Vorfreude auf die Antwort.
„Keine Ahnung“, antwortet kleinlaut das Lautenmännle. „Außer unserer Fahrt vom Schloss ins Museum sind wir nie unterwegs gewesen.“
„Alles klar, ihr habt euch selbst hereingelegt, seid im falschen Schloss“, und Bruno brüllt ein schauriges Lachen hervor. Diesmal rieselt den Zwergen der Sand von den Nasen.

„Dies ist auch Neunhof. Hier steht ebenfalls ein Schloss. Beide Schlösser gehören der Welser-Stiftung. Und das sind die Unterschiede: Die beiden Neunhofs liegen 16 Kilometer auseinander. Hier ist der Barockgarten schon lange in einen englischen umgebaut worden. Und das Wichtigste, das Schloss bei Kraftshof ist ein Museum, dieses ein normaler Wohnsitz. Hier wohnen die Familie des Georg Freiherr von Welser und natürlich ich. Außerdem ist das Schloss Sitz der Welserschen Familienstiftung, deren Geschäfte der Georg führt.“

„Das gibt es doch nicht!“, ruft der dickbäuchige Fressnarr.
„Der Weg war umsonst!“
„Warum soll es euch besser ergehen als den Touristen, die in jedem Jahr das Museums-Schloss bei Kraftshof besuchen wollen und hier landen“, freut sich das Gespenst. „Da war der junge Freiherr gerade in seiner Hängematte eingeschlummert, als ein Ehepaar neben ihm stand und Einlass in das Schloss begehrte. Höflich wie er ist, führte der Georg die Leute. Allerdings zeigte er ihnen nur einen Raum, aus zwei Gründen: Zum einen bleiben die Wohnräume der Familie tabu. Zum anderen wird das Schloss saniert, mindestens bis zum Sommer.“

„Gibt es also kaum eine Chance für eine Besichtigung?“, fragt das Bratwurstmännle und ist damit wieder Wortführer der Zwerge. „Allmächd!“, stöhnt das Gespenst so laut, dass jedes zweite Blatt von den Bäumen segelt. „Natürlich kann das Schloss besichtigt werden, aber nicht unangemeldet, nicht zu jeder Zeit und schon gar nicht nachts“, faucht Bruno den Zwergen entgegen. „Eine Chance hat, wer sich schriftlich anmeldet, ihr Analphabeten“, ergänzt das Gespenst und lacht nicht mehr so laut, dafür sehr hämisch. „Jetzt macht euch auf die Socken, wandert die B 2 nach Nürnberg zurück und die B 4 in Richtung Erlangen weiter. Bald hinter dem Flugplatz findet ihr euer Neunhof. Und so wie ihr ausseht, erschreckt nicht vor euren Ebenbildern, ha, ha, ha!“

Wer unbedingt das Welser-Schloss Neunhof bei Lauf besuchen möchte, sollte sich rechtzeitig anmelden. Schreiben Sie an Georg Freiherr von Welser, Schloss Neunhof, 91207 Lauf.

Sonntag, 25. Januar 2009

Klappts mit dem Korkenzieher, dann auch mit dem Nachbarn

Wie schnell ein Karriere endet, noch bevor sie beginnt, erleben Sie jetzt.
Nach meinem Weggang von der Insel-Rundschau wollte ich eine Karriere als Werbetexter beginnen. Ich bewarb mich mit mehreren Arbeitsproben. Ich habe nie wieder von dem Werbebüro gehört. Ich werde auch nicht noch einmal nachfragen. Ein Anruf genügte:
"Was? Sie haben was über Korkenzieher geschrieben? Nie davon gelesen.Überhaupt, Korkenzieher, wie sind Sie auf die Idee gekommen? Mit Korkenziehern haben wird nichts zu tun."
Das verstand ich so: "Mit Ihnen wollen wir nichts zu tun haben."
Hier die Arbeitsprobe:

Klappts mit dem Korkenzieher, dann auch mit dem Nachbarn

Lavendelduft zieht über die Terrasse. Anette atmet ihn tief ein, schaut über das Feld zur Hügelkette. Es war eine gute Idee, das Häuschen in Südfrankreich für den Urlaub zu mieten, denkt sie. Mal sehen, ob es auch eine gute Idee war, Paul aus dem Nachbarhaus auf eine Flasche Wein einzuladen.

Der Bordeaux glüht in der Flasche wie die untergehende Sonne über den Hügeln. Paul tritt auf die Terrasse, bewaffnet mit einem Blumenstrauß und einem Päckchen. Jetzt schnell den Bordeaux öffnen, denkt Anette, dreht den Flaschenöffner aus dem Küchenschrank in den Korken und zieht und zieht. Vor Anstrengung rötet sich ihr Hals wie ein Roséwein. Stirn und Achseln werden feucht vom Schweiß.

„Guten Wein hat dein Vermieter bestimmt“, sagt Paul. „Doch der Flaschenöffner ist wohl so alt wie das Haus. Schau doch bitte in das Päckchen.“ Anette packt einen Korkenzieher aus. „Mit dem Öffner bekommst du jeden Korken gezogen.“ Und tatsächlich, Anette dreht in Sekunden den Korken aus der Flasche. Paul muss nicht einmal erklären, wie das Gerät funktioniert, so einfach geht es.
„Ist ja auch kein gewöhnlicher Korkenzieher“, meint Paul, während er die Gläser füllt.

Es ist ein Screwpull, mit dem Anette die Flasche öffnete. Der Unterschied zu allen anderen Korkenziehern: Anette muss nur die Spitze des Screwpull auf die Mitte des Korkens setzen und nun mit leichtem Druck am Griff drehen, bis der Korken aus der Flasche ist. Eine kleine Vorrichtung des Screwpull macht es möglich. „Ich weiß nicht, wie du die Folie vom Hals der Flasche bekommen hast“, sagt Paul. „Zum Screwpull gehört ein Folienschneider, der die Folie mit einem Handgriff vom Flaschenhals trennt.“

Anette ist begeistert von dem Geschenk und ein wenig auch schon von Paul. Sie weiß gar nicht mehr, ob Pauls Gesicht vom Sonnenbrand oder vor Aufregung so ein munteres Rot hat. Ihres beginnt vom Bordeauxc oder wovon auch immer zu glühen. Und sie denkt, wenn Paul noch mehr solcher Ideen hat, kann das noch ein aufregender Urlaub werden.

 
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