Sonntag, 15. Februar 2009

Die Besucherin

Nun war ich noch einmal in Stralsund, um Uwe Holl zu besuchen. Der Grund war Heli Anthus, eine der wenigen treuen Leserinnen meines Blogs. Sie fragte:
Sind Sie der Einzige, der ihn besucht? Als Sie in seiner Wohnung auf der Insel noch mit ihm sprachen, wurden Sie doch einmal von ihm fortgeschickt, weil er Besuch erwartete. Haben Sie nie erfahren, wer das war?

Tatsächlich hatte ich Holl nicht danach gefragt. Ich war so sehr mit seinen Erinnerungen beschäftigt, dass ich nicht daran dachte. Außerdem meinte ich, dass der Tod seiner Frau ihn noch zu sehr beschäftigte.

Ich gab die Anthusschen Fragen an Holl weiter. Er war ein wenig knurrig, wollte nicht antworten, sondern wich aus. Er sagte: "Das ist nicht Vergangenheit, sondern Gegenwart. Hatten wir uns nicht darauf geeinigt, in der Vergangenheit zu bleiben?"
Ich antwortete, ich wüsste von dieser Abmachung nichts. Außerdem sei das nicht Journalisten-Neugier.
"Was dann, Mitleid, weil ich keinen Besuch außer unseren Fragestunden bekomme? Niemand braucht mich zu bemitleiden."
"Es ist Mitgefühl, Herr Holl, nicht Mitleid."
"Na, nun mal keine Haarspaltereien."

Ich fragte einfach geradeheraus weiter: "Wer besucht Sie denn außer mir?"
"Sie können aber auch keine Ruhe geben. Nunja, Frau Anders von der Volkssolidarität kommt manchmal vorbei. Sie rückt ja allen Rentnern in Koserow auf die Pelle, denkt, sie müsse sich um alle kümmern."
Klar, Astrid Anders, die Kleine, die Flinke, die Verführerin mit Speis und Trank. Wer die Sturmfeld-Geschichte kennt, weiß, dass sie sich mir mit ihrem Fahrrad in den Weg stellte, als ich einen Termin mit Holl hatte, dem ich zu früh vor der Tür stand und deshalb noch Richtung Steilküste spazierte. Astrid Anders, so eine, der niemand entgeht, nicht einmal Uwe Holl, der Knurrhahn.

Ich sagte: "Frau Anders kenne ich ganz gut. Sie brachte mir die Termine für die Rentnerveranstaltungen und lud mich auch immer gleich ein."
Holl lächelte und antwortete: "Ja, das kann sie gut" und nickte mehrmals ganz leise in sich versunken.
Genau das war der Augenblick, in dem mir das bekannte Licht aufging: Holl, du alter Gauner, du hattest dich vor unsrerem Termin mit Astrid Anders unterhalten, von wegen, da kommt so ein Presseheini, der mich ausquetschen will. Kann ich den reinlassen? Und die flinke Runde wird ihm geantwortet haben, sie hätte keine schlechten Erfahrungen mit mir gemacht. Da hat er sich für die Gespräche entschieden. Ich habe das alles der Frau Anders zu verdanken!

"Na, Merten, schwillt Ihnen die Brust? Passen Sie auf, dass die Hemdknöpfe nicht wegfliegen", sagte Holl und schaute mich mit leicht zusammengekniffenen Augen an, skeptisch eben. Ich hatte mich tatsächlich gereckt und tief eingeatmet. Mensch, bist du stolz darauf, von Rentnern anerkannt zu werden? Ja, bin ich, wenn ich bedenke, wie enttäuscht Holl von meinem Ex-Chef Behr war, der Holl auf fiese Art hatte abblitzen lassen.

"Nicht ablenken, Herr Holl. Frau Anders besucht Sie manchmal im Gefängnis, weil sie Sie auch in Koserow besucht hatte. Geht die Solidarität der Volkssolidarität so weit?"
Holl sagte: "Die der Volkssolidarität wohl nicht, die der Frau Andres sehr wohl."
Ich schaute ihn nur an. Jetzt frage ich nichts, sondern versuche, ihn durch schweigen zum Reden zu bringen.
Vielleicht verging eine Minute. Dann endlich sagte er: "Sie lassen ja doch nicht locker. Von einer Frau geschieden, eine zu Grabe getragen, da wird man vorsichtig mit neuen Verbindungen; Astrid auch. Sie hat ihren Mann betreut, bis er sich endgültig zu Tode gesoffen hatte. Das dauerte mehrere Jahre. Es muss furchtbar für sie gewesen sein. Sie erzählt nicht viel davon. Zum Schluss hat sie nur noch Kotze weggewischt, gewindelt, und natürlich hat sie gewaschen, ihren Mann und die viele Dreckwäsche. Aber sie hat zu ihrem Mann gehalten, bis zum Ende. Das wollte sie so oder anders nicht noch einmal durchmachen. Deshalb haben wir immer ein wenig Abstand zueinander gehalten und haben vermieden, den Alltag in unsere Beziehung einziehen zu lassen. Logisch, dass wir nicht zusammenzogen. Und trotzdem hält sie nun zu mir, obwohl ich noch eine Weile im Knast zubringen werde. Das ist schon schön."
"Bei guter Führung kommen Sie doch früher wieder raus." Warum ich das sagte, weiß ich immer noch nicht.
Holl meinte nur: "Aber zwei Jahre muss ich absitzen und die Zeit bis zum Lebensende scheint immer schneller zu vergehen. Wenn das so weitergeht mit Astrids Besuchen, könnte es doch noch enger werden mit ihr, wenn ich hier wieder raus bin."
"Dann hat es auch sein Gutes, im Stralsunder Knast zu sitzen?"
"Ja Sie nun wieder! Witz, komm raus." Nach kurzer Pause sagte er noch: "Aber im Grunde haben Sie Recht."

Holl erzählte mir an diesem Tag noch eine Geschichte von der Grenze, wie er auf dem Potsdamer Platz einen Grenzede nicht festzunehmen brauchte, weil Holl gerade auf der Toilette war.

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