Sonntag, 29. März 2009

Salon der Dichter

Dass die Inselrundschau nichts über Poetry Slam berichtet, wird daran liegen, dass es auf der Insel keine Dichter gibt, die sich einem Wettstreit stellen wollen, die es auch nicht können, weil niemand zu solch einem Wettstreit aufrief.

Die Redakteure der Inselrundschau haben schwer zu kämpfen, ihr Blatt zu füllen. Doch niemand kam bisher auf die Idee, im Sommer junge Dichter anzulocken, indem sie mit interessierten Kurverwaltungen (Oje! Verwaltungen, ob das etwas werden kann?) zusammen solche Wettbewerbe vorbereitet und in der Rundschau publik macht.
Das würde vielleicht in der Nebensaison besser funktionieren, wenn Greifswalds dichterische Studenten auf solch einen Wettstreit aufmerksam gemacht werden könnten.

Dass solche Veranstaltungen, von Jungpoeten organisiert, in Großstädten seit Jahren Zulauf haben, kann ich belegen. Ob auf der Insel Ähnliches möglich ist, müsste einfach probiert werden. Die Inselrundschau könnte ohne viel Aufwand etwas für junge Poeten tun und darüber berichten und siehe, schon hätte sie ein paar junge Leser mehr und hätte für sich auch etwas getan.

Hier ein Beispiel, wie solch ein Wettbewerb abläuft:

Salon der Dichter

Literaturszene im Kulturzentrum Z-Bau

Die Augen müssen sich erst an das Schummerlicht im Roten Salon des Z-Baus gewöhnen. Die Frankenstraße ist am Freitagabend heller. Auf dem Podium, beleuchtet von einer Schreibtischlampe, ordnen vier junge Männer Papierblätter. Es sind die Poeten, die heute Abend aus ihren Arbeiten lesen werden.

Vor ihnen warten 30 Zuhörer. Die Tische vor den Poeten und die beiden Sofas an den Seiten sind besetzt. An den hohen runden Tischen sind Barhocker frei, auch an der Bar, die dem Poeten-Podium gegenüber liegt. Hier ist es heller vom Licht der Halogenlampen an der rot-schwarz gestrichenen Decke. An den Seitenwänden beschimmern diagonal versetzte Lampen die roten Salonwände.

Vor dem Podium, im Gegenlicht kaum zu erkennen, überbrückt Alexander Nym vom Veranstalter Sprachkrach e. V. eine Zwangspause, entstanden durch widerborstige Technik: „Ich werd’ ’mal ein bisschen quatschen, bis alles angeschlossen ist.“ Ein Zuschauer möchte ihm helfen, empfiehlt, die Poeten könnten sich vorstellen. Doch vom Podium kommt prompt die Ablehnung: „Wer etwas über uns wissen will, kann nachher fragen. Ist wohl besser so.“ Schließlich rät Nym, die Handys abzuschalten, „Piepser, Herzschrittmacher und ähnliche empfindliche Geräte auch“.

Ein Gast mit Brille und wellig wallendem Haar nutzt den Schein der kleinen Windlichter, die auf jedem Tisch stehen. Er zeichnet seine Phantasie auf ein Blatt Papier, wie die vier Poeten es mit jenen Worten taten, die sie jetzt vortragen.

Was aus den Lautsprechern in den Salon schallt, ist fein geschliffene, manchmal derb behauene Poesie, hat nichts mit Herz-Schmerz zu tun, „ich habe alle Liebesgedichte rausgeschmissen“, ist Alltag und wilde Phantasie, will „Räume schaffen, in denen Träume fliegen“. Die Zuhörer erfahren von Herrn Albert, der am Baum hängt, ohne sein Holzbein, das ihn seit Stalingrad trug. Sie hören, warum Rüdiger jetzt in einer Sanduhr die Zeit einteilt, oder was es mit „Blix und Donner“ auf sich hat. Dafür gibt es Applaus von inzwischen 50 Gästen.

Ein Schäferhund-Mischling springt unter einem der Tische auf, auch bei jedem weiteren Beifall, bis sein Herrchen den nicht klatschfesten Hund nach draußen bringt. Im Nachbarraum beginnt eine Bluesband zu spielen, ist durch die graue Blechtür zu hören. Zwei junge Frauen an der Bar küssen sich selbstvergessen und ausdauernd.

In der Pause wechselt eine Frau in Anorak, kurzem Rock, karierten Kniestrümpfen und salonfarbenen Schuhen vom schwarz verhangenen Eingang an einen anderen Tisch. Der Poet Oliver Barfknecht erzählt, dass alle vier Lesenden an der Universität Nürnberg-Erlangen studieren. In der Theatergruppe lernten sie sich kennen und wunderten sich: „Man sollte doch glauben, dass es am Germanistik-Lehrstuhl Leute gibt, die selber Texte produzieren und vorstellen.“ Mit ihrem Quartett gibt es sie nun, neben Barfknecht Volker Berdich und Sebastian Reichert. Später kam Christian Preunkert dazu, der neben Texten die Musik für die Video-Musik-Lesung liefert.

Höhepunkt des Abends wird das Multimedia-Projekt über einen diebischen Nachbarn. Barfknecht lässt seine Zunge im Nachbarn spionieren, um seine gestohlenen Erdbeeren aufzuspüren. Wie bestellt schreit nach dem „Gedicht vom Scheißen“ durch die Blechtür eine Blues-Mundharmonika auf.

Als die Poeten ihre Gäste in die hellere Nacht der Frankenstraße entlassen, klingt der Abend nach: „Stellt euch vor, die Welt wäre aus Gummi und unsere Schuhe aus Stein.“ Einige Zuhörer werden das tun und sich auf die nächsten ersten Freitage im Monat freuen, wenn Sprachkrach wieder zum subkulturellen Sprachvergnügen einlädt.

Sonntag, 22. März 2009

Am Greifswalder Bodden

Am Greifswalder Bodden

Wo Himmel und Meer bleigrau den Horizont verstecken
und der Blick übers Wasser haltlos bleibt,

wo die Möwen, den Zugvögeln gleich, im Keil auf Reisen fliegen,

wo das Pfingstfest letztes Signal für das erste Bad des Jahres ist,
selbst wenn Eisschollen treiben,

wo der Sturm aus Nordwest mich vom Strand weht
und der Frost aus dem Osten sich in die Ohrmuscheln krallt,

wo das Wasser am Morgen eine Glatze trägt,
die Stunde darauf sich Wellen kräuseln
und Minuten später Wogen toben,
eine jede Ebbe und Flut zugleich,

wo Kiefern krummbeinig und schiefhäuptig auf dem Steilufer wachsen,

wo die Sturmflut Wiesen in Seen verwandelt
und Wohnzimmer in Tümpel,

wo hunderte Schwäne im Bodden-Eis zu Tode frieren,
ein Festmahl für Füchse, Krähen und Adler,

wo ich für's Fensterbrett den Donnerkeil und steinalte Muscheln fand,
doch nie einen Bernstein,

wo ich dem Sohn die Gier des Fischjägers weitergab,
wo der erste Tag der alljährlichen Hechtverführung unser Feiertag bleibt,

was soll ich da am Mittelmeer?

Sonntag, 15. März 2009

Des Habilds Hasen vom Hasenbuck

Ein paar Jahre lang lebte ich in Franken. Dort habe ich so viel gelernt, wie zuvor in sechs Jahren. Ich lernte dort Leute mit Ideen kennen, z.B. den Apotheker Gert Habild, der seine Apotheke im Stadtteil Nürnberg-Hasenbuck betreibt.

Weil in allen möglichen Läden seit Wochen Ostersachen angepriesen werden und weil es bald Frühling wird (In einer regionalen Zeitung wäre zu lesen: "Der Frühling steht vor der Tür." Das ist natürlich Quatsch, denn der Frühling steht vor keiner Tür, liegt auch nicht davor und auch nirgends woanders.), erinnerte ich mich an den Apother und an das, was ich von ihm weiß: In seinem Laden stehen, sitzen, liegen und hängen Osterhasen aus aller Welt, das ganze Jahr über. Sogar Notizzettel, die er verschenkt, sind behast:

Wer Gert Habild eine Freude machen möchte, schenkt ihm einen Hasen. Ob Plüsch, Holz, Blech, Plaste, Porzellan, Glas, Schokolade oder gemalt und gezeichnet, spielt keine Rolle. Hauptsache der Löffelträger ist originell. Dass es ausgerechnet Hasen sind, hat mit seiner Apotheke zu tun. Sie liegt im Stadtteil Hasenbuck.

Als Gerd Habild Anfang 1997 die Apotheke in der Rieppelstraße übernahm, hatte er die Idee, zu Ostern das Schaufenster mit Hasen auszustatten. Einige Meister Lampe aus dem Baumarkt wurden so der Beginn seiner Sammelleidenschaft. Ein Hase wurde auch zum Logo der Apotheke. Die Frau eines Freundes, eine Grafikerin, entwickelte es: den breiten, lächelnden Kopf mit den besonders schlanken Ohren.

„Öfter mal was Neues“ ins Schaufenster zu stellen, sei interessanter für die Kundschaft, meinte der Apotheker. Also wechselte er von Zeit zu Zeit die Hasen-Dekoration. Nur im Weihnachts-Schaufenster standen Engel und Räuchermännchen. Doch selbst dort fand sich ein Hase, aus Holz geschnitzt und deshalb ein wenig getarnt.

Wer öfter an der Apotheke vorbeikommt, entdeckt Hasen mit Pilzen in der Pilzzeit, Hasen mit Ranzen, wenn die Ferien enden und traditionell einmal jährlich ein Mohrrüben-Schaufenster. Zum wahren Entdecker wird, wer die Apotheke betritt. In den Regalen, zwischen Arzneien, an allen Ecken und Enden stehen, sitzen, liegen oder hängen Hasen. Vom Kitsch- zum Kunsthasen sind es oft nur Zentimeter. So steht auf einem Meter hohen Sockel das Kunstharz-Modell des kleinen Hasen von Jürgen Goertz, dessen Original ganz blank von Streichelhänden am Tiergärtner Tor steht. Gern zeigt Gert Habild das Plakat von Toni Burkhart mit dem Dürer-Hasen aus dem Jahr 1971.

Ist der Apotheker auf Reisen, schaut er natürlich nach Auslands-Hasen. Aus Indien brachte er Hasen-Büchsen aus Pappmaché mit, eine Hasen-Kinderrassel und einen Hasen reitenden Buddha aus Kambodscha, Hasen mit Instrumenten aus England und Griechenland.

Aber auch Absonderliches sammelt Habild, zum Beispiel eine Häsin im neongelben Abendkleid, einen Hasen im Froschkostüm oder einen Bären im Hasenkostüm. Als die Ente Paula der Nürnberger Nachrichten zu Ostern Hasenohren zum Umbinden erhielt, kaufte der Apotheker gleich 50 dieser Ohrenpaare. So kann er alle möglichen Plüschtiere in Hasen verwandeln.

Etwa 500 Hasen hat der Hasenbuck-Apotheker in sieben Jahren gesammelt. Wie viele genau, weiß er nicht, denn ab und zu verschenkt er auch Teile seiner Sammlung. Inzwischen geht das Sammeln über das eigentliche Objekt hinaus. Aus dem Bezirksmuseum Berlin-Charlottenburg brachte er ein Heft mit Osterhasen-Gedichten mit. Er besitzt den Katalog des Osterhasen-Museums in München. Und natürlich weiß er, dass der Hase in Kambodscha das Symbol für den Mond ist.

Was Gert Habild in diesem Jahr zu Ostern ins Schaufenster stellt? Es könnte sein, dass es mit Hasen zu tun hat.

Sonntag, 8. März 2009

Der Turm auf dem Dach (2)

Sie wissen noch, dass Uwe Holl mir alles Mögliche erzählte, aber die Geschichte vom Turm auf dem Dach nicht zu Ende brachte. Ich meine, er wollte sie nicht weiter erzählen und hatte wohl gehofft, ich würde vergessen, danach zu fragen. Da kennt er mich aber schlecht. Natürlich wollte ich das Ende wissen, sie vielleicht auch. Hier ist es:

Der Turm auf dem Dach (2)

Wir saßen an einem Freitagvormittag seit sechs Uhr in dem Turm auf dem Dach des Hauses der Ministerien und uns war nach Kaffeetrinken zumute. Wir riefen die Streife herbei.

Vom Dach konnten wir weit nach Westberlin hineinsehen. Dort gab es zwar nicht viel anzuschauen damals, aber es war der Westen. Ich schaute über den Leipziger Platz mit dem Abgang zur U-Bahn, konnte weiter nach rechts das Brandenburger Tor sehen, mit dem Ministergarten zwischen Leipziger Straße und Tor, in dem heute die Landesvertretungen stehen.
Wir hörten das Klappern und Scheppern auf dem Dach - die Streife erlöste uns für eine Weile.

Während wir nach ausgiebigem Toilettengang geruhsam Kaffee tranken, passierte dies:

Ein junger Mann hatte sich aufgemacht, nach Westberlin zu flüchten, bei strahlendem Sonnenschein, an einem Freitagvormittag, nicht zu fassen. Die Streife hatte ihn beim Übersteigen des Hinterlandzaunes an der Wilhelmstraße entdeckt und es sogleich gemeldet. Der Bursche schlenderte am Haus der Ministerien vorbei in aller Ruhe gen Mauer. Nirgendwo im Grenzabschnitt war die Entfernung zwischen Hinterlandszaun und Mauer größer. Grenzede hatte 500 Meter zu schlendern. Sein Fehler: Er konnte keinen Postenturm entdecken. Der Zugführer gab dem Postenpaar im Bahnhof Potsdamer Platz den Befehl, aus dem Untergrund aufzutauchen und den Mann festzunehmen.

Er schlenderte ihnen direkt in die Arme, als sie die Stufen der U-Bahnstation emporliefen. Der Mann hatte keine Ahnung, dass auch vom Haus der Ministerien während der gesamten Zeit eine Kalaschnikow auf ihn gerichtet war.

Der Postenführer rief: "Halt an! Brauchst keine Angst mehr vor uns zu haben!" Er betonte das "uns". Er wusste, nun würde der Mann verhört werden und musste ins Gefängnis.
Hier hätte er sterben können. Erst wenn er aus dem Grenzgebiet haraus war, würde er sich ängstigen.
 
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