Bevor ich noch einmal den einsitzenden Rentner Holl zu Wort kommen lasse, muss ich Sie über eine weitere misslungene Karriere in meinem neuen Leben ohne Insel-Rundschau informieren.
Um die Karriere tut es mir nicht leid. Reisejournalist zu bleiben, ohne Schleichwerbung zu verbreiten, ist schwierig. Außerdem wird in so vielen Reiseportalen über Urlaub und Hotels berichtet, dass spezialisierte Journalisten bald durch PR-Leute ersetzt werden.
Diesen Reisebericht nahm mir niemand ab, obwohl er sehr nützlich ist.
Wenn Sie mal nach Nürnberg kommen und viel Zeit mitbringen, könnten sie auch einen Patrizierlandsitz mit Renaissancegarten und seltsamen Figuren an den vier Ecken des Gartens besuchen. Aber aufpassen, sonst rufen auch Sie:
Das Museums-Schloss bei Nürnberg besichtigen? Auf geht’s! Aber fahren Sie zum richtigen Touristen-Ziel. Selbst 275 Jahre alte Zwerge, die es eigentlich wissen müssten, suchen eine Nacht lang vergebens.
„Allmächd! Was sind das für Wichte, die in meinen Neunhofer Schlossgarten hineinwackeln? Sind kaum zu erkennen im Mondlicht. Irren auf den Wegen umher, als wollten sie mir altem Gespenst Angst einjagen. Da kann ich nur lachen. Diese Zwerge werde ich gehörig erschrecken.“ Bruno, seit 1279 Neunhofer Schlossgespenst, durchrauscht die Dachluke, schwingt sich hinab in die Baumkronen und umrast als blutroter Nebel mit Donnergetöse die vier Zwerge. Die drängen sich ängstlich zwischen den Rosenbüschen aneinander.
„Ihr komischen Kobolde, ihr sandsteinernen Witzfiguren, was habt ihr im Neunhofer Schlossgarten verloren?“, grollt Bruno. Nur einer der Zwerge wagt es, den Blick zu heben: „Wir sind die vier Zwerge aus dem Germanischen Nationalmuseum, die einst hier im Garten standen. Ich bin das Bratwurstmännle. Während wir es im Museum warm und trocken haben, stehen Kopien von uns im Garten. Wir sind hierher gekommen, um nach unseren Klonen zu schauen. Wir wollen ihnen Mut zusprechen, damit sie noch recht lange durchhalten und wir nicht wieder sandsteinsteif hier herumstehen müssen. Wir können unsere Ebenbilder aber nicht finden.“ Beim letzten Satz hebt das Bratwurtsmännle keck den Kopf.
„Was seid ihr nur für trübe Tassen? Ich geistere nun schon 700 Jahre durch Schloss und Garten. Steinzwerge standen hier noch nie.“ Bruno legt all seine gespenstische Kraft in seine Dröhnstimme und brüllt die Zwerge an: „Ihr Wichte wollt mich wohl auf den Arm nehmen?“ Als er die Ärmchen der Zwerge sieht, lacht er wütend mit einem schaurigen Echo, dass den Männchen der Sand von ihren Knien rieselt. Jetzt ist es das Eiermännle, das zuerst die Fassung wiedergewinnt: „Aber das ist doch der Garten in Neunhof .“ Es hält seine Hand schützend über die Eier in der Schüssel.
„Ja, unser Garten“, mischt sich mutig geworden sogar das Lautenmännle ein und schaut dabei hinter dem Dickbäuchigen hervor.
„Ihr seid im Schlossgarten in Neunhof bei Lauf. Wolltet Ihr etwa in das Neunhof bei Kraftshof?“, fragt das Schlossgespenst voller Vorfreude auf die Antwort.
„Keine Ahnung“, antwortet kleinlaut das Lautenmännle. „Außer unserer Fahrt vom Schloss ins Museum sind wir nie unterwegs gewesen.“
„Alles klar, ihr habt euch selbst hereingelegt, seid im falschen Schloss“, und Bruno brüllt ein schauriges Lachen hervor. Diesmal rieselt den Zwergen der Sand von den Nasen.
„Dies ist auch Neunhof. Hier steht ebenfalls ein Schloss. Beide Schlösser gehören der Welser-Stiftung. Und das sind die Unterschiede: Die beiden Neunhofs liegen 16 Kilometer auseinander. Hier ist der Barockgarten schon lange in einen englischen umgebaut worden. Und das Wichtigste, das Schloss bei Kraftshof ist ein Museum, dieses ein normaler Wohnsitz. Hier wohnen die Familie des Georg Freiherr von Welser und natürlich ich. Außerdem ist das Schloss Sitz der Welserschen Familienstiftung, deren Geschäfte der Georg führt.“
„Das gibt es doch nicht!“, ruft der dickbäuchige Fressnarr.
„Der Weg war umsonst!“
„Warum soll es euch besser ergehen als den Touristen, die in jedem Jahr das Museums-Schloss bei Kraftshof besuchen wollen und hier landen“, freut sich das Gespenst. „Da war der junge Freiherr gerade in seiner Hängematte eingeschlummert, als ein Ehepaar neben ihm stand und Einlass in das Schloss begehrte. Höflich wie er ist, führte der Georg die Leute. Allerdings zeigte er ihnen nur einen Raum, aus zwei Gründen: Zum einen bleiben die Wohnräume der Familie tabu. Zum anderen wird das Schloss saniert, mindestens bis zum Sommer.“
„Gibt es also kaum eine Chance für eine Besichtigung?“, fragt das Bratwurstmännle und ist damit wieder Wortführer der Zwerge. „Allmächd!“, stöhnt das Gespenst so laut, dass jedes zweite Blatt von den Bäumen segelt. „Natürlich kann das Schloss besichtigt werden, aber nicht unangemeldet, nicht zu jeder Zeit und schon gar nicht nachts“, faucht Bruno den Zwergen entgegen. „Eine Chance hat, wer sich schriftlich anmeldet, ihr Analphabeten“, ergänzt das Gespenst und lacht nicht mehr so laut, dafür sehr hämisch. „Jetzt macht euch auf die Socken, wandert die B 2 nach Nürnberg zurück und die B 4 in Richtung Erlangen weiter. Bald hinter dem Flugplatz findet ihr euer Neunhof. Und so wie ihr ausseht, erschreckt nicht vor euren Ebenbildern, ha, ha, ha!“
Wer unbedingt das Welser-Schloss Neunhof bei Lauf besuchen möchte, sollte sich rechtzeitig anmelden. Schreiben Sie an Georg Freiherr von Welser, Schloss Neunhof, 91207 Lauf.
vor 4 Jahren
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