Montag, 21. Juni 2010

Wellengeflüster

Drei Monate nichts eingetragen. Ich hatte drei Monate nicht ein Mal daran gedacht zu schreiben: Stattdessen war ich zum ausdauernden Genießer geworden. Hier ist so vieles, das das Leben zum Genuss macht, das die Vergangenheit verdrängt, gar auszulöschen scheint.
Wo ich bin? Nein, das erfahren Sie nicht. Ich bin nicht kreuz und quer um die Erde gefahren, geflogen und geschippert, um nun auszuplaudern, wo ich genieße. Schließlich bin ich eines Mordes verdächtig.

Ich war am Meer, lag am Strand, den Kopf in die Hände gestützt, den Blick aufs Wasser gerichtet. Das Blut sammelte sich, überfüllte die Adern im Gehirn, weil der Strand sich dem Wasser zuneigt. Früher hätte ich vermutet, es läge an der Blutfülle, dass ich die winzigen Wellchen miteinander sprechen hörte. Jetzt weiß ich, dass ruhiges Genießen Unhörbares hörbar macht.

Die winzigen Wellchen tuschelten miteinander: "Schschondaaaä."
Die Antworten kamen von links und rechts, mitunter von beiden Seiten zugleich: "Schscht-stilllll", als forderten sie, diese Strandveränderer, die kleine Angeberin auf, die Ruhe am Strand nicht zu stören. Sie fallen einander ins Wort. Manche Welle übertönt die andere. Andere rauschen halblaut an den Strand, als fürchteten sie, von den großsprecherischen ob ihrer Lautstärke beschimpft zu werden. Manche erreichen so vorsichtig den Strand, als wollten sie vor dem Ufer still stehen um nicht durch ihr Murmeln aufzufallen. Die Verspielten plätschern ans Ufer, hemmungslos, aber auch fast rauschlos.
Doch es geht auch anders. Weht ein starker Wind vom Wasser, rauscht das Meer. Es klingt, als führe ein endloser Schnellzug in einiger Entfernung. Es scheint dann, als wolle das Meer das Ufer erobern, und die Wellen brüllen der Küste ihre Angrifsslust entgegen. Auch wenn Soldaten gegen den Feind geschickt werden und sich also schicken lassen, brüllen sie, und es ist keine einzelne Stimme herauszuhören.
Drei Tage und zwei Nächte hatte das Meer gegen die Küste gebrüllt, als wollte es sich Platz schaffen, um dem Sturm zu entgehen, der es peitschte. Es hatte vergeblich versucht, vor der stürmischen Pein zu flüchten. Das Meer hatte die Kraft, in seiner Not Land zu rauben, konnte dem Sturm jedoch entgegensetzen. Das Meer ist dem Wind schutzlos ausgeliefert, wie ein Tier im Käfig seinem Peiniger. Nicht das Wasser ist schuld am überschwemmenden
Hochwasser.

Ruhe vor den Urlaubern am Strand auf Usedom? Nachts vielleicht! Und sonst, in der Sommersaison? Wie oft wurde ich gestört, wenn vormittags die ersten Urlauber den Strand heimsuchten?! Die Schlimmsten waren jene, die ihre Strandtaschen in den Sand warfen, die Arme ausbreiteten und riefen: "Ist das nicht schön? Genau wie im letzten Jahr", womit sie nicht das letzte, sondern das vorige Jahr meinten. Denn wäre das vorige das letzte Jahr gewesen, gäbe es das Jahr mit dem Wie-immer-Ausruf nicht. Doch das nur nebenbei. Wie sollte ich wohl bei dem Gerufe und dem sich anschließenden Dauergequatsche die winzigen Vormittagswellen belauschen?
Natürlich schien den Urlaubern der Strand unverändert, wie im vorigen Jahr. Doch nur wenig war wie im Jahr zuvor. Sonst hätten die Usedom-Süchtigen auch jedes Sandkorn am alten Platz gefunden. Doch Wind und die winzigen, erst recht die großen Wellen hatten in dem einen Jahr eine großes Sandkorndurcheinander angerichtet. Auch das Wasser war nicht dasselbe.

Es tauchen stets dieselben Urlaubertypen auf. Kam ein Paar aus dem Wasser, während hinter ihm ein Schlauchboot der Wasserwacht auf seiner Fahrt nach Südosten hinter dem Streckelsberg verschwand. Dem Paar eilte ein Mann, Mitte 40, entgegen. Die Frau fragte ihn: "Gehen Sie baden? Das Wasser ist gar nicht kalt."
Der Mann: "Nein, ich hörte das Boot und sah dann, dass es schneller fährt als sonst bei einer Kontrollfahrt. Ich wollte sehen, was los ist."

Damals machte mich eine Wut ganz schlapp, die Wut darüber, im Sommer nirgendwo an der See meine Ruhe finden zu können. Wenn es doch wenigstens ein Meer wäre, bittersalzig, klar und tief, das die Urlauber zu Freudenausbrüchen verführte! Doch die braune Brackbrühe der Pommerschen Bucht? Ich kann mir nicht erklären, dass in jedem Jahr mehr Urlauber in der braunen Bracke planschen, stehen, schwimmen, schreiten, wenn sie es doch in richtigen Meeren tun könnten, statt in der Oder-durchwässerten Pommerschen Bucht. Geht es den Strandbesuchern auf Usedom gar nicht um das Wasser, sondern um den Strand? Finden sie es angenehm, wenn sich Strandsand in alle Körperritzen und -spalten verirrt, in Taschen Tücher, und Sachen aller Art rieselt, auf der Haut kratzt, schabt und kitzelt? Warum finden immer mehr Urlauber das gut?

Warum fragte sie niemand danach? Fragte ich danach, als ich noch die Inselrundschau spaltenweise mit Urlaubergeschichten füllte? Warum ließen wir, ließ ich, lassen sie heute noch Urlauber und Einheimische das Wunder des Strandes bejubeln? Mir fällt nur ein Grund ein: Es ist verkaufsfördernd.
Und jene Leute, denen der Sand zuwider ist, das Wasser undurchschaubar? Merken sie nicht, was es anrichtet, dennoch zwischen Tausenden zu liegen, stehen, hocken, knien, deren gemischte Gerüche, deren Lärm zu ertragen. Sie wissen schon am ersten Strandtag, dass die Hand im Wasser amutiert scheint, tauchen sie den Arm bis über den Ellbogen in die Bracke.

Das alles lag so weit hinter mir, dass es mir erst wieder bewusst wurde, als nach fast einem halben Jahr Brigitte (Ihr wisst schon, meine Freundin aus dem "Sturmfeld") hier ankam. Das rührte alles wieder auf. Übrigens waren Brigitte und ich vor drei Monaten am selben Tag auf dem Pekinger Flugplatz gewesen, ohne es auch nur zu ahnen. Erst vor einem Monat ließ ich sie über den treuen und verschwiegenen Schill wissen, wo ich bin. Auch sie hatte eine Odyssee hinter sich, musste in der Welt umherkreuzen, damit niemand auf meine Spur gelangt.

Mittwoch, 10. März 2010

Der Anschein von Gold

Aus vier Dutzend Metern Höhe sind die Kräuselwellen so winzig, dass die sich spiegelnde Sonne auf der Meeresoberfläche ein goldgleißendes Dreieck vor mir ausbreitet. Ein Fischerboot, das gerade das Dreieck kreuzt, erzeugt einen Wellenkeil, der das goldene Dreieck durchfurcht. So vergänglich kann Gold sein? So vergänglich kann der Anschein von Gold sein.

Richtig, während Sie in Deutschland noch immer mit Schnee und Frost zu tun haben, sitze ich im Baumschatten auf der Terrasse hoch über dem Meer. Ein warmer Wind weht an der Küste entlang, und ich überlege überhaupt nicht mehr, wie und wann ich nach Deutschland zurückkehre. Wochenlang habe ich mich gequält herauszufinden, wie ich es anstelle, wieder einzureisen, ohne sofort wieder unter Beobachtung zu sein, ohne vielleicht sogar festgesetzt zu werden. Vorbei! So vergänglich können quälende Gedanken sein.

Es ist, als könnte ich Sie aufatmen hören und Ihre Gedanken lesen: Aha, deshalb hat er sich nicht mehr gemeldet. Ich hatte Spuren zu verwischen. Spuren sind nicht so vergänglich wie ein goldener Schein auf Millionen Kräuselwellen. Sie zu tilgen, macht Arbeit. Mit einem Mal Drüberfahren ist es nicht getan.
Es begann damit, meiner Freundin Brigitte den geplanten Weggang zu verheimlichen. Vielleicht kann ich sie bald nachkommen lassen. Nur muss sie - wie ich es tat - ihre Spuren verwischen, die Schnüffler auf meine Fährte führen könnten. Brigitte hat nach den vielen Wochen das Schlimmste überstanden.
Thomas Schill weiß inzwischen auch, dass ich nicht unter die Räder gekommen bin. Hat der am Telefon gewettert: "Wie kannst du das tun?! Du machst dich völlig unnötig verdächtig!" Das war natürlich nicht alles: "Unsere ganze Mühe ist im Eimer! Hast du eine Ahnung, wie ich jetzt dastehe?! Alle Welt glotzt mich an! Das geht ja noch. Aber die halbe Welt geht mir aus dem Weg - weil du dich abgeseilt hast! Ich werde dir sagen, wie sie mich angucken, wie jemanden, der einem Mörder geholfen hat abzuhauen." Doch das ist nur dem Anschein nach richtig.

Dienstag, 2. Februar 2010

Es wintert gar sehr

Bevor ich demnächst verrate, wo ich nicht bin, hat mir die Insel-Rundschau, die ich auch hier verfolgen kann - welch ein Amüsement zuweilen, wenn ich meine Situation bedenke - diesen kleinen Dialog eingeben:

Mausi: Karl, Kaharl!
Karl: Mausi, schrei mich doch nicht an!
Mausi: Tu nicht immer so, als hörst du mich nicht.
Karl: Ich höre dich sehr gut. Schrei mich nicht an, Mausi!
Mausi: Karl, in der Rundschau steht, dass es gestern und vorgestern geschneit hat und dass nun überall Schneewehen herumliegen.
Karl: Is nich wahr!
Mausi: Doch, steht hier.
Karl: Und ich dachte schon, dass es nur hier in Heringsdorf geschneit und geweht hat. Siehst du, Mausi, gut dass wir die Rundschau haben. Jetzt wissen wir, dass es in Wolgst und in Greifswald und in Anklam und in ...
Mausi: Nu is man gut, Karl. Es hat überall geschneit.
Karl: In Swinemünde auch?
Mausi: Davon steht nichts in der Zeitung.
Karl: Dann werden die Polen wohl drum rum gekommen sein, Mausi.
Mausi: Kann ich mir nicht denken. Warum sollte der Schnee an der Grenze aufhören?
Karl: Keine Ahnung. Aber wenn nichts davon in der Rundschau steht, wird es in Swinemünde wohl nicht geschneit haben.
Mausi: Das is wohl so.

Karl schaut sich die Zeitung an, kratzt sich den Hinterkopf, wie immer, wenn er über etwas mächtig nachdenkt, was ihm nicht recht ist: Mausi? Sag mal, ob wir für die Zeitung am Monatsende Geld zurückkriegen?
Mausi: Wieso denn das?
Karl: Mausi, ist dir aufgefallen, wie viel Schnee auf den Fotos zu sehen ist?
Mausi: Ja, mächtig viel Schnee, drei Seiten voll.
Karl: Na dann pass mal auf, dass er nicht taut. Das gibt sonst eine Schweinerei in der Stube.
Mausi: Karl, du bist ein Knallkopp.
Karl: Musst nicht alles gleich ernst nehmen. Aber zurück zum Geld. Die sparen doch ne Menge Druckerschwärze, wenn sie viele Schneebilder drucken.
Mausi: Du meinst, die machen das wegen der Farbe?
Karl: Warum sonst? Du weißt, wie Schnee aussieht, ich auch. Wir brauchen ja nur aus dem Fenster zu gucken, dann wissen wir Bescheid.
Mausi: Ja Karl, aber wenn nun der Schnee in Wolgast ganz anders aussieht. Stimmt, is Quatsch.
Karl: Siehst du, warum also die vielen Fotos. Die wollen Farbe sparen. Schließlich ist das Papier doch schon weiß. Darauf Schneebilder zu drucken - alles klar jetzt?
Mausi: Und schreiben brauchen die auch weniger. Da kann glatt einer mehr Urlaub machen.
Karl: Und das bezahlen wir trotzdem alles? Wollen wir uns das Geld nicht zurückholen?
Mausi: Und wie viel is das?
Karl: Verdammt, schlaue Frage. Ich glaube, die haben uns am Schlafittchen. Wie soll ich das ausrechnen? Hoffentlich kommen die nicht auf Idee, demnächst weiße Schrift einzuführen.
Mausi: Ach du wieder.
Karl: Neenee, das haben die drauf. Wer die Zeitung seitenweise mit Schneebildern bedruckt, will unser Geld und dafür weniger tun. Mausi, alles klar! Deshalb schreiben die auch nichts über die Verpackungen in den Geschäften, in denen immer mehr Luft ist, lassen das die Fernsehleute machen. Könnte ja einer wie ich auf die Idee kommen, dass die Rundschauleute es genauso machen.
Mausi: Du bist doch auch so drauf gekommen.
Karl: Ja, aber nur, weil ich wohl zu den wenigen gehöre, denen niemand zu zeigen braucht, wie Schnee aussieht.
Mausi: Ach Karl, die machen ja doch, was sie wollen.
Karl: Genau wie die Politiker ...
Mausi: Nun is aber gut, Karl. Bleibt alles, wie es is.


Sonntag, 22. November 2009

Nicht geimpft und trotzdem krank

Sachen passieren: Thomas Schill wollte sich gegen die neue Grippe impfen lassen, berichtete ich vor drei Wochen. Doch daraus wurde nichts. Ich hatte ihn angerufen: "Na, Thomas, rennst du jetzt mit einem dicken Oberarm herum?"
"Hörauf", rief er ins Telefon, "Ich war der Achte, der sich impfen lassen wollte. Da aber keine zehn Leute zusammenkamen, wurden wir wieder nach Hause geschickt. Ihr könnt mich mal, dachte ich und blieb zu Hause."

Ein paar Tage später rief mich Schill an: "Wär ich doch bloß noch einmal hingegangen wegen der Impfung!" Husten, ein Krächzen. Ich rufe in den Hörer: "Na da hat sich doch wohl ein Mithörer eingeschaltet. Was hast du denn Falsches gesagt?"
"Mach du dich noch lustig über mich. Mich hat die Schweinegrippe erwischt."
"Und? Musst du nun sterben? Und woher willst du wissen, dass es die Schweingerippe ist? Und was hätte wohl die Impfung ausgerichtet?"
Schill hörte sich beleidigt an: "Was sollte es sonst sein? Was sollen die blöden Fragen?"
"Vielleicht sind die Fragen gar nicht so blöd. Kannst du eine davon beantworten?"
"Welche?"
"Ob du nun sterben musst!"
"Wohl kaum. Anderthalb Tage Fieber, Kratzen im Hals und eine dicke Nase habe ich noch immer. Nee keine Todesgefahr, Lothar."
"Gut, dass du durchkommst, Alter. Also die zweite Frage: Woher weißt du, dass du die Schweinegrippe hast? Bist du getestet worden?"
Jetzt war Thomas Schill empört, zumindest hörte es sich so an: "Ich renne doch wegen des bisschen Fiebers und einiger Unannehmlichkeiten nicht noch mal zum Doktor. Außerdem würde ich mit Krankenschein in der Zeit aus der Arbeitslosenstatistik fallen. Den Gefallen tue ich den Heinis nicht." Kurze Pause und dann: "Was sollte es denn sonst sein?"

Jetzt war ich obenauf: "Siehste. Es kann alles Mögliche sein, z.B. eine schnöde Erkältung. Sollen auch Viren sein, die das hinbekommen, aber eben andere. In einer Woche ist alles vorbei. Ich meine, dann bist du nicht tot, sondern gesund. Selbst wenn du getestet worden wärst und das Schweinevirus nachgewiesen worden wäre, können ebenso gut, ich meine ebenso schlecht, andere Erreger schuld sein an deiner Krankheit. Prüft bloß keiner. In all dieser bekloppten Hysterie, du weist schon, Usedom-Rundschau und andere Angstmacher, kommt kaum noch jemand darauf, dass du wegen etwas anderem krank wurdest."
Schill redete dazwischen: "Willst du mir einen Vortrag halten?"
"Ja, tut Not, merk ich doch."
"Oh komm, mir brummt der Schädel", sagte Schill.

"Nimm eine Tablette und hör mir zu. Der Knüller kommt nämlich noch. Wie viele Tage lagen zwischen dem Arztbesuch ohne Impfung und deiner Erkältung oder was das ist?"
"Drei oder vier Tage. Und nun?"
"Schihill! Rechne mal mit: Die erste Impfung wirkt ungefähr nach einer knappen Woche. Erst mit zwei Impfungen sollst du so richtig immun gegen die Schweinegrippe sein. Das heißt doch wohl, dass du trotz Impfung krank geworden wärest, wenn wir mal annehmen, es ist die Schweinegrippe."
"Stimmt Lothar."
"Also zu guter Letzt: Du kommst durch, mit und ohne Schweinegrippe und bist jetzt gegen sie immun, falls du doch daran krank wurdest."

Schill wollte nicht fröhlich werden, trotz seiner günstig stehenden Überlebenschancen. Also musste ich ihn noch ein wenig ermuntern: " Übrigens, wenn du doch geimpft worden wärest und dir danach etwas passiert wäre, was dann?"
"Was soll da schon passieren, ein dicker Arm, bisschen Jucken um den Einstich herum."
"Thomas, du solltest mal was anderes lesen als die Rundschau. Dann wüsstest du, dass in Rheinland-Pfalz ein Mensch nach der Impfung lebensbedrohlich erkrankte und einer danach starb. Und das sind noch nicht alle."
"Dann war es wohl doch ganz gut, dass ich ich dachte, die können mich mal."
"Keine Ahnung Thomas, schlau sind wir meist erst hinterher. Achso, wer hat dich denn angesteckt?"
"Du hast eine blöde Art von Humor, Lothar. Woher soll ich das wissen?"
"Kleiner Tipp: Kauf dir Desinfektonsspray oder -tücher. Damit wische ich mir nach jedem Einkauf die Hände ab. Wer weiß, was an der Lenkstange vom Einkaufswagen alles klebt und wer mit welchen Keimen Tüten und Flaschen aus den Regalen nahm und dann doch nicht kaufte. Und das Wechselgeld nicht zu vergessen. So ein Tuch danach kann Wunder wirken. Aber du kannst dich natürlich auch impfen lassen, so im Nachhinein. Ist schon gut Schill, war nur ein Witz."

Freitag, 23. Oktober 2009

Arroganz und Ahnungslosigkeit

Erinnern Sie sich bitte an den Ausbruch der Vogelgrippe, an die jammernden Touristiker auf Rügen, an die dem Tamiflu hinterher Hechelnden, vor allem aber an die hilfreich der Pharmaindustrie zur Seite stehenden, weil die Angst schürenden, Medien.
Das alles macht unruhig und vermindert somit die Denkleistung. Was für ein Mist wurde nicht alles in die Welt gesetzt, auch von der Usedom-Rundschau! Wenigstens hatte ich mich an der Blödsinn-Schreiberei nicht beteiligt.

Wenn ich sehe, wie jetzt wieder wegen der neuen Grippe die Welt in Angst versetzt wurde und wird, fällt mir ein, was wohl gewesen wäre, wenn rechtzeitig ein Impfstoff gegen die Vogelgrippe entwickelt worden wäre. Wie jetzt wären Abermillionen Menschen geimpft worden. Und siehe, die Vogelgrippe hätte nur wenige Menschen weltweit zu Tode gebracht. Ich fürchte, das wäre der Impfindustrie und den Bonzen ein willkommener Anlass gewesen zu behaupten: Der Impfstoff hat seine Schuldigkeit getan.

Was um alles in der Welt schützt uns vor solchen Behauptungen, wenn die neue Grippe ähnlich mit uns verfährt wie es die Vogelgrippe tat? Doch nicht etwa die Medien?!

Das nur zum Nutzen von Medien, das zu jenen, die meinen, aus der Zeitung ... zu erfahren, was in der Welt los sei.

Ach, Thomas Schill will sich gegen die neue Grippe impfen lassen. Er wollte mir nicht verraten, was ihn dazu vor allem bewog, die Angstschürerei per Text oder die idiotischen Spritzen- oder Nadel-im-Oberarm-Bilder, die überall verwendet werden, als wüssten weder Schill noch ich, noch Sie, wie eine Spritze aussieht und wie geimpft wird.
 
Immer wieder Beispiele, die belegen, für wie blöd uns Medienvertreter aller Art halten. Eine gefährliche Mischung: Arroganz und Ahnungslosigkeit, deren Ergebnisse einige von Ihnen täglich kaufen.

Sonntag, 11. Oktober 2009

Gut und Böse über Kreuz

Ein Lieblingsspruch der LINKEN stammt von John Steinbeck. Er geht so: »Menschliche Eigenschaften wie Güte, Großzügigkeit, Offenheit, Ehrlichkeit, Verständnis und Gefühl sind in unserer Gesellschaft Symptome des Versagens. Dagegen sind Gerissenheit, Habgier, Gewinnsucht, Gemeinheit und Egoismus Merkmale des Erfolges.« Er hat recht.
Ich hatte es hier gefunden.

Wäre das eine Idee für eine Geschichte?:

Ein Gerissener, Gemeiner, Egoistischer macht Gewinn, weil er einen Ehrlichen, Verständnisvollen für seine Geschäfte missbraucht. Es gelingt dem Gerissenen, weil er eine Kinderfreundschaft wieder aufleben lässt.
Der Gerissene lässt den Ehrlichen andere Ehrliche ausnehmen, bis er merkt, dass der Gerissene ihn ausnutzt. Er kann sich aber nicht wehren, bis er darauf kommt, einen anderen Gerissenen anzustellen, der den ersten Gerissenen übers Ohr haut.
Doch dieses Wehren ist nicht so einfach, denn der Ehrliche ist ja auch gütig und verständnisvoll; Skrupel hemmen ihn anfangs noch.

Samstag, 3. Oktober 2009

Nachdenken über den 9. Oktober

Warum wurde ausgerechnet der 3. Oktober zum sog. Tag der deutschen Einheit, warum nicht der 9. Oktober?

Welcher 9. Oktober? Sehen Sie, Sie hatten schon vergessen, dass an dem Montag im Jahr 1989 in Leipzig 70000 Menschen den Altstadtring umrundeten, beäugt von 15000 Bewaffneten. Es war die bis dahin größte, nichtangemeldete Demonstration in der DDR, während der nicht einmal eine Fensterscheibe zu Bruch ging (War es der Gedanke an das Volkseigentum?), geschweige denn, Menschen zu Schaden kamen. Diese Demonstration löste eine Flut weiterer in der gesamten DDR aus, mit denen erzwungen werden sollte, das DDR-System zu reformiern, und es wurde doch Auslöser des Umsturzes.

An solch einen Tag sollte mit einem Feiertag erinnert werden? Niemals!
Die Gründe liegen auf der Hand.

Es war kein Regierender aus Ost und schon gar nicht aus West dabei.
Es bedurfte keines Regierenden, 70000 Menschen in Bewegung zu setzen; sie schafften das von sich aus.
Es bedurfte keines Regierenden, Zerstörung, Mord und Totschlag zu verhindern. Die Leute schafften das ganz allein.
Die Massen organisierten sich friedvoll fast von selbst, ein einmaliger Vorgang - leider.

Vor lauter Unzufriedenheit und Demonstriererei kamen die meisten monatelang gar nicht auf den Gedanken zu überlegen, was denn noch alles ohne Regierende möglich wäre. Außerdem war plötzlich die Grenze offen und alles Volk strömte - 100 Westmark abzuholen. Die große Chance zur Selbstbestimmung war vertan.

Der zweite Grund, den Tag zu keinem Feiertag zu erheben, ist ebenso einfach zu erkennen. Die untergehende DDR wurde nicht mit dem Westen vereint; sie wurde vom Westen kolonisiert. Waren es vor Hunderten Jahren die Mönche, die den Glauben unters Volk brachten, so die Gesellschaften zerstörten und die Kolonisierung leicht machten, waren es vor 19 Jahren die Versicherungsvertreter und die der Bausparkassen, die den DDR-Bürgern den Geldregen vom Himmel versprachen. Schon der erste geschenkte Hunderter hatte gläubig, gefügig und vor allem unterwürfig gemacht. Die von Händlern unters mauloffene Volk geworfene Bananen, Zeitschriften und Kugelschreiber wirkten wie die bunten Perlen der den Mönchen vor Hunderten Jahren nachrückenden Händler.

Den Blick auf die bunten Perlen gelenkt, merkten viele Leute nicht, wie ihnen die DDR unterm Hintern weggezogen wurde (Regierende verwandelten per Dekret Volkseigentum in Staatseigentum, um es verhökern zu können, und wir ließen uns das gefallen.) und sie mit Brosamen abgespeist wurden, viele von ihnen bis heute, die den Lügen, Verheißungen genannt, der neuen Regierenden im Osten und der alten Regierenden im Westen, glaubten und immer noch glauben. Nur sind es nicht mehr so viele. Die neuen Regierenden im Osten verschenkten die DDR, schnellstmöglich. Sie wollten sie unbedingt loswerden, denn sie hatten keine Herrschaft mehr über das Volk und die Kolinisten drängelten.

Die Herrschaft des Geldes bendete diesen Zustand des Nichtregiertwerdens, den kein Regierender oder Regierungswilliger der Welt lange duldet, auch nicht, wenn es nicht sein Volk ist, das er beherrscht, sondern Nachbarn. (Herrschende denken: mein Volk, sagen aber: die Menschen und wagten vor ein paar Jahren noch zu sagen: die Menschen draußen, tun es nicht mehr, denken es nur noch, ganz schön schlau.) Gewöhnlich lässt er Soldaten oder Geld einmarschieren, um im unbeherrschten Nachbarland die Ordnung der Herrschenden wieder herzustellen.

Dass die DDR kolonisiert wurde, steht außer Frage. Nehmen Sie die Nationalhymne. Daran erinnerte mich heute ein Gespräch mit Christian Führer, das ich im Radion gehört hatte. Dass die von den Nazis malträtierte Nationalhymne nun die aller Deutschen ist, illustriert das Bild von der Kolonisierung und zeugt zugleich von der Unfähigkeit und dem mangelnden Willen, etwas Neues zu schaffen. Wer kolonisiert, braucht nichts Neues zu schaffen. Er ist damit beschäftigt, neuen Profit schaffen zu lassen.

Wäre der Osten nicht kolonisiert worden, sondern mit dem Westen geeint, wäre eine neue Nationalhymne vonnöten gewesen. Es wäre auch der Text der DDR-Nationalhymne annehmbar gewesen, denn er kommt ohne Maas und Memel aus. Es ist mit Ausnahme weniger Zeilen ein guter Text, viel besser als der Überalles-Text. Besonders gefällt mir:
Laßt das Licht des Friedens scheinen,
Daß nie eine Mutter mehr
Ihren Sohn beweint.
Das geht natürlich in Einigdeutschland nicht. Wo kämen wir da hin? Muttertränen hin oder her; schließlich muss Einigdeutschland auch am Hindkusch verteidigt werden und wer weiß, wo demnächst noch.

Wir haben vor 20 Jahren eine einzigartige Chance verpasst und ich befürchte, welches Volk auch immer wird weiterhin ähnliche Möglichkeiten ungenutzt lassen, weil es stets zu viele Leute gibt, die sich allzu gern regieren lassen.

 
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